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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Nidden, Ezard: Krisis, Krach, Bankrott der Literaturgeschichte, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0247

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einen Strick zu drehen, das blieb Professor Meyer vorbehalten, wenn ihm
hier nicht nur ein Versehen unterlief. Die Errichtung der Witkopschen
Professur unter philosophischen Auspizien freilich, die hat mir besser ge--
fallen, als das Buch ihres ersten Inhabers, und das habe ich auch bekannt.

Vielleicht bin ich mit Prosessor Meyer auch hier näher zusammen
als er denkt. Der dritte Punkt scheidet uns freilich um so tiefer. Die
Methode. Zunächst die Doktordissertationen. Ihre Hand, Herr Gegner,
das soll ein Wort sein: daß durch eigne Arbeiten der Ansänger die
Arbeitweise einer Wissenschaft kennen lerne und seine Lignung erprobe.
Aber eben dies meine ich so ost. Nicht gering, nicht subaltern, nicht
„vorläufig" genug sind mir so viele von diesen Arbeiten, welche Probleme
stellen, die erst in hundert Iahren zum Spruch reisen werden, Worte und
Begriffe häufen, die vorab gründlicher Klärung bedürften/ Die Technik des
neueren deutschen Romans baut man aus in Marburg? Aber dann müßte
man ja in Marburgs Seminar Romane schreiben! Doch, das ist wohl
nur ein Lapsus. Ich will den Marburger Dissertenten gar nicht gern
Aurecht tun, aber daß sie wirklich tzaltbares über eine so künstlerische,
wissenschaftlich kaum faßbare Frage wie die nach dem Wesen der Rornan-
technik in Angriff nehmen, scheint mir mindestens kühn. Aud wer diese
Probleme philologisch faßt, nicht kunstwissenschastlich, das heißt psychologisch
— der allerdings hätte bei mir von vornherein vertan. Also nicht „große",
sondern deutliche Gesichtspunkte fordern wir. Nicht die Entwöhnung
von der Kleinarbeit, nicht Iournalismus, sondern strenge Wissenschaft,
die sich im Lichte nicht allein der Studierlampe, sondern auch geschulten,
seelenkundigen Denkens sehen lassen kann. Aud wiederum gebe ich
Professor Meyer Recht: jene alten Großen hätten die „Fortschritte der
philologischen Methode" gern genutzt. (Aber vielleicht hätten sie sie mit
mir betrachtet als „Das Handwerk, das die papierene Auterlage schasft"
und das der Dummkopf lernen aber nicht nützen kann.) Der bescheidentlich
Anterzeichnete, der jene Fortschritte nie „gehöhnt" hat, wird sogar selbst
versuchen sie zu nutzen. Er wird Margis, Stern, Dilthey, Fries, wird
die sprachwissenschaftlichen und vergleichenden Methoden gern nutzen —
wo sie seiner Arbeit nützlich sein können. Damit sind wir wieder bei den
Aufgaben. Rnd wenn wir in mancherlei einig sind, so sind wir's hier
nicht. Ich habe gar keine Lust, irgend jemand zu „zerschmettern", aber
daß man alle unsere künftigen Lehrer des Deutschen (nicht: der philo--
logischen Methoden) in den wissenschastlichen Drill nimmt und sie dann
ohne Kenntnis und Erlebnis des Deutschen, das unsere Großen schrieben,
auf die Iugend losläßt, das erscheint mir, nur sehr gelinde gesagt, als
„Mißverständnis". Mögen zehn Gelehrte in hundert Iahren die „Äber--
einstimmung des geistigen Lebens über alle Trennung der Lpochen hinweg"

* Ein Beispiel aus unsrer zusälligen Kenntnis sei zur Verdeutlichung an-
gefügt. Einern Studenten wird das Theina gestellt: „Der Humor bei Shake-
spere". Welch eine Aufgabe! Der Student stürzt sich auf alles, was Philo-
sophen und Psychologen über Humor geschrieben haben. Hilflos genug sucht
er mit dem Erarbeiteten dem Thema gerecht zu werden und übergibt zagend
sein Manuskript dem Professor. Die Arbeit genügt nicht, denn sie ist „falsch
angefaßt". Eine statistische Zusammenstellung der Wortwitze und --Spiele, eine
rein philologische Bearbeitung humorvoller Stellen und dergleichen war der
„Sinn" des Lhemas. Dieser Fall ist nicht erfunden, er ist Tatsache. K.-L.
 
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