Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Schmidt, Karl: Gedanken für eine neue Ausstellung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0036

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gedanken für eine neue Ausstellung*

aß sich der Meister erst in der Beschränkung zeigt und daß erst das Ge-
^"F/^tz uns Freiheit geben kann — wir wissen heute, daß diese Gedanken
auch im gewerblichen und künstlerischen Leben weit größere Bedeutung
haben, als wir früher ahnten. Wir wissen heute, daß es in Indien noch jetzt
Dörfer gibt, die ganz und gar auf eine Farbe gestimmt sind und in denen
kein Bauer so „ungebildet" wäre, sich diesem Zusammenklang nicht einzu-
fügen. Wir wissen, daß in Iapan in allen Zimmern das Maß der Matten
90xs80 aufgeht, daß dort alle Fenster, Türen, sogar das Bild an der
Wand im Format Normen sind. Wir kennen jetzt auch aus der Gotik
die Gesetze vom gerechten Steinmetzengrund. — Wir wissen weiter, daß
heute auf allen Gebieten Organisation als das Wichtigste und Wesent-
lichste gilt, daß man Typen anstrebt, Syndikate, Kartotheken, Weltsormate,
also Ordnung und Vereinbarung an Stelle von Anarchie und Ungezogen-
heit. Wenn früher der Künstler glaubte, es geschähe ihm mit der Lin-
führung bestimmter Normen Gewalt, so sehen wir heute in solchem
Meinen Äberbleibsel aus der Zeit des engen Individualismus.

Organisation und streng folgerichtiges Streben nach
Typen und Normen läßt sich sehr wohl vereinen mit
künstlerischem Arbeiten, mehr sogar: gerade durch dieses
Streben wird unser künstlerisches Arbeiten erst Ausdruck
unserer Zeit werden können. Dieser Gedanke sollte der Vorwurf
für eine Ausstellung der Zukunft werden, dann wäre sie einer außerordent-
lichen Teilnahme gewiß. Sie würde die hestigsten Erörterungen wecken
und eine der wichtigsten künstlerischen, wirtschastlichen und kaufmännischen
Fragen ihrer Lösung entgegenführen.

Um einem Linwand vorweg zu begegnen: vollendete Regelmäßigkeit
und Organisation ist Geometrie. Der Ausspruch Theodor Fischers „das
Schönste und Vollkommenste ist das annähernd Vollkommene", müßte
in das rechte Licht gesetzt werden.

Was könnte man auf solch einer Ausstellung, die ich ursprünglich als
eine gewisse Ergänzung des Hellerauer Gedankens hier geplant hatte, alles
versuchen, zeigen, ausstellen! Man baut die ganze Ausstellung in typischen
Grundmaßen, mit Fenstern, Scheiben, Türen in bestimmten Größen wie
etwa die Hellerauer Fensternormen und alles in einheitlicher Farben-
stimmung.

Es darf nur eine deutsche Schrift angewandt werden, und diese
nur in wenigen Größen. Nirgends ein Fremdwort. Das Maß 50 oder
25 Zentimeter muß in allen Räumen ausgehen, so daß mit Tapeten,
Linoleum und dergleichen ohne Verschnitt zu arbeiten ist.

Alle ausliegenden Drucksachen, Prospekte, eine Anzahl Bücher sind
in den Weltformaten hergestellt. Für auszuteilende Drucksachen ist eine
Art Brieftasche, vielleicht auch eine Umhängtasche in der Ausstellung selbst
käuflich.

Weiter werden ^—6 Typenhäuser gebaut, allensalls die von Riemer-
schmid sür Hellerau entwickelten, die vollständig nach diesen Grundsätzen
durchgesührt sind und sich in einer Mietpreislage von 550 Mark bis
s500 Mark bewegen. Auch die Gärten zu diesen Häusern müssen Typen

* Der Verfasser dieses Aufsatzes ist Leiter der „Deutschen Werkstätten für
Handwerkskunst" in Hellerau.

2s
 
Annotationen