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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0623

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andern wallenden Schleiern und brldete drei Kerne in der Mitte, welche
langsam schwankten. Und wie jetzt der Gesang anschwoll und so mächtig
wurde, daß die Himmelshalle wiederklang wie eine ungeheure tiefe Saite,
daß die Räume sich zu weiten schienen, da lösten sich aus den drei Nebel-
kernen zu gleicher Zeit Maria, Iesus und Gott-Vater. Und wie die
Kinder mit den Engeln bebend vor Glück weitersangen, da wurden aus
den starren Zügen weiche Linien, es fing um sie zu leuchten an, zu strahlen.

Und siehe da — Maria hatte eins der Kinder an der Hand gesaßt. Und
siehe — jetzt strich Iesus einem Kinde übern Scheitel. Und nun hob der
Herrgott selbst die Hände um zu segnen.

Da entrang sich ein einziger hallender Freudenschrei den wandernden
und singenden Kindern, und wie sie jetzt einander ansahen, da erstaunten
sie über die Maßen, daß sie sich von den Engeln nicht mehr unter-
scheiden konnten. Denn jetzt waren sie selber Engel geworden, Engel
mit Flügeln, unsterbliche Engel. Fritz Müller-Eannero

Vom tzeute fürs Morgen

Gottesfriedenzeit

nsre Leser wissen, wir bemühen
uns, jedes Kunstwarthest nach
Möglichkeit aus einen einheitlichen
Ton zu stimmen, der vom Leiter bis
zum Schlußwort immer wieder aus-
klingt. Weihnachten als Fest der
Ruhe — sollte auch durch dieses
Heft hin eine Ruhe gehen? Das
nicht etwa, denn volle Ruhe gehört
in dieser Welt der Kämpse nur dem
hohen Fest selber, wohl aber etwas,
das der Adventzeit gerecht wird, eine
Friedfertigkeit, wenn man will: eine
Achtung der Gottesfriedenzeit. Wir
Schriftleiter sagten einander zu, wir
wollten so weit nur irgend möglich
den Streit des Tages aus diesem
Heft verbannen. Nicht nur den mit
uns und im engern Sinne um unsre
Sache, auch den über all die Irrun--
gen und Wirrungen und Kämpfe
der Gegenwart überhaupt.

Leicht ward uns das nicht ge-
macht. Alle Tage kamen Nachrich-
ten, die uns die „eirenische" Stim-
mung verderben wollten. Aber selt-
sam: nun der Vorsatz fest war, so
ging's. Erst schwerer. Erst war's
für uns wie ein recht irdisches Ach-

ten auf das sehr irdische „Mensch,
ärgere dich nicht". Aber dann
ward's etwas andres. Ward es ein
Sicheinstellen des ganzen Bewußt-
seins darauf, nur das zu sehn, was
entschuldigen konnte. Und wenn wir
uns da im Anfang auch nur wie ein
Rechtsanwalt vorkamen, der zugun-
sten seines Klienten ein Auge eini-
germaßen krampfhaft schließt, bald
Lnderte sich auch diese Stimmung.
Wir wurden wirklich friedfertig,
denn es interessierte uns auch ganz
innerlich immer mehr das an den
Dingen, was sreundlich war.

Wär es gut, wenn das so bliebe?
Ich meine im Gegenteil: nur der
Schwächliche hätte ein Recht dazu,
sich das Immer-Zufriedensein mit
der Welt anzuerziehn. Dem Kräf-
tigeren wird es auf die Dauer wohl
auch nicht glücken, und wenn er zu-
gleich ein sittlicher Mensch ist, so
darf er's gar nicht. Wir haben
KLmpfer zu sein „im Heere des
Lichts", wir sind dazu da, für unsre
Äberzeugungen zu wirken, geradesa
rückhaltlos wie wir fest an ihre
Wahrheit glauben. Wir dürfen auch
dessen froh sein, denn es gibt ja
 
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