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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Wohin?: Zum Thema: Kultur und Zivilisation
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0016

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Iahrg. 27 Erstes Oktoberheft 1913 Heft 1

Wohin?

Zum Thema: Kultur und Zivilisation
ganz über alle Maßen gescheit wir sind, dessen freut sich ein
V ^jeder. Aber seltsam: wenn man nun so in der Sonne sitzt und zum
blinkenden Zeppelin hinaufschmunzelt (an dem man sich, als Zeit--
genosse, halb und halb „mitverdient^ sühlt): da ist doch irgendwo irgend-
welch unangenehmer Geselle in einem drin — berlinisch zu sprechen,
der muckt auf. Aus irgendeinem tiefsten Dunkel heraus nörgelt er: „Wenn
das da oben erst in Hummelschwärmen saust, werdet ihr dann auch noch
»weg« davon sein? Wenn ihr immer auspassen müßt, ob euch nichts auf
den Kopf fallt? Wenn ihr erst richtig überlegt, was ihr im Grund
»gewonnen« habt: eine neue Wafse, die von Iahr zu Iahr gesräßiger
werden wird nach Geldern, Kräften, Menschen. Warum? na, weil die
andern sie eben auch haben — wär's wie früher, hätte sie keiner, so brauchte
sie keiner." „Still!", wir verweisen den Lästerer: „Daß der Mensch sliegen
gelernt hat, bedeutet das nichts?" „Bedeutet was!", nickt er, „aber wozu
benützt er's? Was fangt ihr denn mit euren Erfindungen Gescheites an?
Seid ihr etwa übers erste Verblüfftsein hinaus selber damit zufrieden?
Kommt mir's nur so vor, als schimpftet ihr über die Automobile? Äber die
Quasselstrippen und Näseltuten? Seid ihr von den »Kientöppen« sehr
entzückt?^' Nnd der Nörgelkobold Pfeift uns eine der gemeinsten Gassen-
hauermelodien impertinent unter die Nase: „Da sitzt er nu mit sein Talent
und kann es nicht verwerten".

Es ist leider nicht nur der inwendige Nörgler in uns, es sind auch
soweit vernünftige Menschen, die sagen: ob die Lrfindung der Flugzeuge
zum Segen ist, ja, wer weiß das? Vorläufig, mindestens, sieht es nicht
so aus. Im Wettbewerb der Völker kam die Erfindung, keines konnte sich
ihr entziehen, ohne zurückzubleiben, flöge man aber überhaupt nicht, so
hätten alle nichts weiter zu entbehren, als — eine Mehrbelastung. Den
phantastischen Schein und eine gelegentliche Extratour reicher Leute beiseite,
so bleibt vom Fliegen: zu den alten Schrauben ohne Lnde beim Wettrüsten
nun noch eine neue Schraube, voraussichtlich gleicher Art. Nnd bei wie
vielen Erfindungen noch müssen wir zweifeln, ob Schaden oder Nutzen
überwiegt — irgendein Aber ist fast immer dabei. Nur: muß es so bleiben?
Dämmert hier wirklich das Tragischste von allem Tragischen herein: daß
die Menschheit durch ihr Erkennen getrieben wird, gerade mit ihren Fort-
schritten mehr und mehr von ihrer Natürlichkeit zu opfern und endlich
sich selbst zu vernichten? Oder: kann sie sich mit der Zeit an all das
Neue anpassen? Mit andern Worten: wird die Zivilisation nach
und nach überall zum dienenden Mittel der Kultur werden? Oder
wird die Kultur in der Zivilisation ersticken, wie der Fisch in der Luft?

Sind wir bei dieser Fragestellung, dann fällt uns etwas auf, was all-
täglich und doch merkwürdig ist. Kultur und Zivilisation, wie grund-
 
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