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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
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Lose Blätter
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0179

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Aus Nettelbecks Leb ensb eschreibuug

^vlles dies achtete ich jedoch weniger als das Anglück, das dem Rat-
^hause bevorstand, und da ich wohl einsah, daß unter den gegen-
wärtigen Nrnständen eine wirksame Hilfe allein vom Militär ausgehen
könne, so hastete ich mich, das nächste Wachhaus auf dem Walle zu er-
reichen und den dort kommandierenden Offizier um schleunigen Beiftand
zu bitten. Wild stürme ich in das dunkle Wachzimmer hinein. Ich
sehe auf der hölzernen Pritsche sich eine Gestalt regen, die ich zwar nicht
erkenne, aber sie für den Mann haltend, den ich suche, von ihrem Lager
ausschreie, indem ich rufe: „Bester Mann, zu Hilse! Das Rathaus steht
in Flammen!"

Aber weniger meinen Schrei, als mich selbst und mein Iammer-
bild beachtend, erhebt sich der Offizier mir gegenüber, schlägt die
Hände zusammen und spricht: „Ach, du armer Nettelbeck!" — Ietzt
erst, an der Stimme, erkenne ich ihn — es ist Gneisenau! Er hört, er
ersährt, er gibt mir einen Adjutanten samt einem Tambour mit; die Lärm-
trommel wird gerührt; Soldaten erscheinen, Patrouillen durchziehen die
Straßen, kräftigere Löschanstalten kommen in Bewegung, die zwar den
Brand nicht mehr zu unterdrücken vermögen, aber ihm doch sobald ein Ziel
setzen, daß wenigstens doch zwei Seiten des ein großes Viereck bildenden
Gebäudes erhalten werden, während der schon ergrisfene Teil desselben
noch bis zum Abend des folgenden Tages in sich selbst niederbrennt und
sortglimmt.

So besonnen, wo es handeln galt, so allgegenwärtig, wo eine Gefahr
nahte, und so beharrlich, wo nur die unabgespannte Kraft zum Ziel sühren
konnte, wie der Kommandant in dieser furchtbaren Nacht sich zeigte,
hatte er immer und überall seit dem ersten Augenblick seines Auftretens
sich erwiesen. Seit Wochen schon war er so wenig in ein Bett als aus
den Kleidern gekommen. Nur einzelne Stunden, die er ungern der Tätig-
keit aus den Wällen unter dem heftigsten Kugelregen abbrach, ruhte er
aus einer ähnlichen Pritsche wie jene, deren ich eben erwähnte, und in einem
armseligen Gemach über dem Lanenburger Tore, aber jeden Augenblick
bereit, mich oder andere anzuhören, wenn wir ihm etwas von Wichtigkeit
zu melden hatten. Vater und Freund des Soldaten wie des Bürgers, hielt
er beider Herzen durch den milden Ernst seines Wesens, wie durch teil-
nehmende Freundlichkeit gefesselt. Ieder seiner Anordnungen solgte das
unbedingteste Zutrauen. Es schien unmöglich, daß sich sein geprüster
Wille und Befehl nicht stracks auch in den allgemeinen Willen verwandelte.
Selbst die Nnsälle, die uns trasen, konnten diesen treuen Glauben an
seine hohe Tresflichkeit um nichts vermindern; denn nur zu klar erkannten
wir darin die herben Früchte nicht seines, sondern eines srüheren Ver-
säumnisses.

Vom Heute fürs Morgen

Leipzig

er aus eigenem Miterleben
länger als bis !870 zurückdenken
kann, der weiß, daß damals allen
das Iahr als das Höhenjahr der

deutschen Geschichte schlechthin er-
schien und die Leipziger Schlacht
schlechthin als der Gipsel im Höhen-
jahr. Heute noch können wir die
tiese Innerlichkeit des Iubels mit-
 
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