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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0178

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Freunden und Feinden oft lebendigst erzählen gehört, von eignen Werken
und Taten nimmer ein Wort. Da wies er alle Fragen ab- anch nber
Hemmer, Neider, Feinde und was Dummheit und Schlechtigkeit seinem
Wollen und Streben in den Weg geworfen, darüber konnte man kaum
aus Winken von ihm etwas erraten.

Aus Stefsens' Lebenserinnerungen

^neisenau lernte ich jetzt erst persönlich kennen. Er war, wie bekannt,
^9ein schöner Mann, dessen ruhiges und sicheres Einherschreiten
schon den ritterlichen Helden verkündete, sein Blick deutete auf Klarheit.
Ich sah nie eine ähnliche Mischung von edlem Stolz und echter Demut,
von Zuversicht und Bescheidenheit. Wie die übrigen größten und be-
deutendsten deutschen Helden war auch er mehr durch das Leben als
durch Studien gebildet, aber durch seine Achtung für eine jede Art
höherer geistiger Bildung, durch die freundliche Aufsorderung, ihn über
Verhältnisse aufzuklären, die ihm unbekannt waren, durch das unverstellte
Geständnis seiner Unkunde zeigte er sich nicht allein noch liebenswürdiger,
sondern zugleich achtungswerter; denn nie erschien die ihm angeborene
Größe imponierender als in eben solchen Momenten. Ihm fehlte die
leichte Beweglichkeit des Geistes, der schnelle Witz, die ironische Schärfe,
welche damals viele der bedeutendsten und höchst verdienstvollen höheren
Befehlshaber auszeichneten, aber auch nicht selten, bei geselligen Be--
rührungen, zurückstoßend wirkte.

Ich habe nicht selten das Glück gehabt, bedeutende Männer in meinem
Leben zu tresfen, aber nie bedauerte ich so oft, ein Gespräch plötzlich ab-
brechen zu müssen, dessen Fortsetzung mir höchst wünschenswert schien,
wie bei Gneisenau. Denn nie hörte ich aus seinem Munde ein unver-
ständiges Wort, ja die stille Demut seines Wesens hatte etwas un-
widerstehlich Gebietendes an sich, auch in geistiger Rücksicht, so daß das
Rnverständige in seiner Nähe sich nicht auszusprechen wagte. Ein jeder
ahnte das tiefsinnige Gemüt, welches, indem es sich äußern wollte, mehr
an das dachte, was ihm fehlte, als an den großen Schatz von Ersah-
rungen, die er, von den größten Gedanken durchdrungen, mit Luropas
Schicksal sortdauernd beschästigt, während er in tätigem Bündnis mit
den edelsten und großartigsten Männern lebte, sich erworben hatte. Ls
war etwas Fürstliches in seiner Gestalt, in seiner Art, sich darzustellen
und sich zu äußern. Eben wenn er am demütigsten war, schien er sich
mit bewußtloser Sicherheit herabzulassen,- er war der ritterlichste, frei-
gebigste Held, den ich jemals sah, und wer das Glück hatte, sein Interesse
zu erwecken, konnte aus seine sortdauernde tätige Teilnahme in einer
jeden unangenehmen Lage mit Sicherheit rechnen. Ich denke mit Freuden
daran, wie ich sein Wohlwollen und seine sreundliche Teilnahme von
dem Augenblick an, wo er in meine Wohnung trat, fortdauernd genossen
habe. Die vielen Beweise seiner Güte gegen mich, wenn ich oft Stunden
in seiner oder er in meiner Wohnung zubrachte, schweben mir in traurig
heiterer Erinnerung vor; kein Mann ist mir je teurer gewesen. Wenige
Tage vor seinem plötzlichen, erschütternden Tode trat er, im hohen Alter
noch fest und rüstig einherschreitend, in meine Wohnung. Die Cholera
erschien mir erst drohend, als sie in ihrem verwüstenden Fortschreiten ein
solches Opser zu ergreifen wagte.
 
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