Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Gneisenau
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0159

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
fuhr, ließ er sofort seine Pläne fahren und ftellte sich wieder in den
preußischen Heeresdienst.

Ritterlich und liebenswürdig, selbst die notwendige tzärte seiner Hand-
lnngen durch lebhaft gefühltes Mitleid und möglichste Schonsamkeit ver-
edelnd, ein wenig schwerblütig und leicht in grüblerische Stimmungen ver-
sinkend, dabei stets zur vollen Aktivität bereit, von jäher, brennender
Leidenschaft durchwühlt, aber in seinem Auftreten und seinen Lntschlüssen
Form und Maß wahrend, mit unvergleichlicher Klarheit Menschen und
Menschenmassen durchschauend und wertend, frei in der Zielsetzung, frei
in der Verwendung aller Mittel, ja seines eigenen Lebens, trotz der
völligen Souveränität seines Geistes von Herzen bescheiden gegen die
Menschen, im Innersten demütig gegen das Schicksal, so steht vor uns
der Herrenmensch deutscher Art. Linen Augenblick sei der Phan-
tasie das Bild erlaubt: Gneisenau auf einem Königsthron seiner Zeit, ein
würdiger Gegner Napoleons. Von dem Zusammenprall dieser beiden
Geister würde ein Leuchten ausgegangen sein über Iahrtausende.

Warum band Gneisenau sein Leben an den untergehenden Staat
Friedrichs des Großen? Warum lockte den Offizier in der schlesischen
Garnison nicht die Möglichkeit, in Napoleons Diensten die Ideale seines
urfprünglichen jugendlichen Ehrgeizes zu ersüllen? Ist es allein die Treue
gegen den einmal erwählten Herrn, die Beharrung bei dem einmaligen
Beschluß? Er selbst spricht gelegentlich von dem „Interesse, das er am
preußischen Staat genommen habe". Man sühlt durch diese Worte die
innere Freiheit durch. Was aber waren die tiefsten Beweggründe dieses
Interesses? Wir werden sie in der Welt der Instinkte und Ahnungen
zu suchen haben, aus der die größten Entscheidungen des einzelnen wie
des Volkes hervorquellen. In Ahnungen jener Art, wie Fichte sie mit
paradoxer Deutlichkeit aussprach: wenn der preußische Staat untergeht,
so scheidet das deutsche Volk aus dem Gang der Weltgeschichte aus, und
damit verliert diese Geschichte ihren Wert und Sinn- dieser Staat dars
und kann in diesem Augenblick nicht untergehn. Hier berührt uns etwas
von den geheimen Triebkräften der großen Völkergestaltung, wir spüren
ein überpersönliches Organisches, wenn wir Stein, Scharnhorst, Gneisenau,
Blücher, versammelt durch den Genius Friedrichs des Großen, den Staat
Preußen neu schasfen sehn. —

Wie viele außer den Historikern von Fach wissen nun heut von Gnei-
senau mehr als den Namen und ein paar Daten? Das Volk, das sein
Nibelungenlied vergaß, hat auch diesen in der Tageshelle der Geschichte
wirkenden königlichen Geist vergessen. Sind wir so reich an Persönlich-
keiten, daß wir einen solchen Schatz ungenützt lassen dürfen? Es muß
doch einmal eine Zeit kommen, die Gneisenau gerecht wird, weil die Ge-
schichte einen solchen Geist nicht nur für die Spanne weniger Iahre seines
praktischen Auswirkens braucht. Wilhelm Stapel

Lose Blätter

Von Gneisenau und über ihn

^Daß Gneisenau nicht in allen deutschen Iugendlesebüchern zu finden
ist, daß es von seinen Briefen und Denkschriften nicht zahlreiche billige
Volksausgaben gibt, ist eine kulturgeschichtliche Merkwürdigkeit. Wir
 
Annotationen