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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0080

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Vom tzeute fürs Morgen

Natürlichkeit

arurn schauen wir auf den
Photographien so unnatürlich
aus? Halb durnm und halb thea-
terhaft? Und niemals, wie wir
sind? Warum verhunzen wir die
Güte über unsern Augenbrauen
durch eine böse Heldenfalte? Warum
verschwindeln wir den ungebroche-
nen Blick in unsern Augen durch ein
verwaschnes Photolächeln? Warum
verbiegen wir die Haltung unsres
Körpers, die aus unsrer Arbeit
wuchs, in eine Tanzsaalvorschrist?

Der Fragezeichen sind genug ge-
setzt, ich möchte eine Antwort sehn.
Eine Antwort auf die vielen
Fragezeichen? Also schön — du
sitzest bei dem Photographen, läßt
die Füße noch vergnüglich und
natürlich über deinen Stuhl hin-
unterhängen, blinzelst ganz gemüt-
lich in die Helle, lächelst innerlich
erquickt über die Geschäftigkeit des
Mannes hinter der Maschine und
die Sprünge des Gehilfen, denkst
an das Nilpferdsohlen von einem
Mädchen, welches heute morgen
deinen Zylinder gegen den Strich
gebürstet hat — kurzum, du bist
ein Mensch mit einem Bündel un-
gerufener Gedanken zwischen deinem
Scheitel und der großen Zehe, und
soweit ist alles gut und richtig.

Bis auf einmal der Photograph
feierlich neben die Maschine mit
dem schwarzen Auge tritt, sich
dräuend aus sein rechtes Bein stützt
und mit dem Spielbein schlen-
kernde Bewegungen macht, mit der
verlogen gespreizten Hand einer
Hofdame an die schwarze Kappe faßt
und — wohlverstanden, du lächelst
immer noch natürlich und du denkst
noch immer an das Nilpserdchen von
einem Mädchen — und mit säuer-
lichem Schlagrahmsausdruck flötet:

„Von — je — etzt — ab — bit
— ter«

Bum — fliegt die Kappe ab.
Bum — ist dein Gesicht nicht mehr
natürlich. Bum — zeichnet jetzt die
Sonne dein verhunztes Angesicht
auf eine Platte.

„Fertig", rust besriedigt der Pho-
tograph; und du schleichst aus seiner
Werkstatt. Hinter deinem Rücken
weißt du eine matte Platte, die eine
schwindelhafte Fratze deiner Seele
gefangen hat. Die Stimmen deiner
Vettern, deiner Tanten hörst du über
deinem Bilde murmeln (wenn du
nicht dabei bist, versteht sich): „Nicht
übel, a—aber die Partie um seinen
Mund, die . . „Wirklich rei—ei-
zend, a—aber die Partie um seine
Augen . . „Zum Verlie—ben,
nur die Partie um seine Nase,
die . . .«

Soweit deine Vettern, Basen,
Tanten. Deine Freunde, wenn sie
unter sich sind, sparen sich den An-
fang dieser Sätze. Nnd dein Geist
verrät dir, wie sie sprechen: „Sau-
dumm schaut er drauf aus, einfach
saudumm." „Wie ein ausgstopfter
Asf." „Wenn man ihn nicht besser
kennen tät, dem Bild nach hätt ich
gmeint, es ist ein gesrorener Ge-
meindedepp."

Nnd wer ist schuld daran, an
allem diesem? Ein kleiner Satz nur:
„Von — je — etzt — a — ab —
bit — te."

(„Bitte" hat übrigens hinten kein
gewöhnliches e, sondern eigentlich
einen aeeeut ai§u, und der hat deiner
Natürlichkeit den Rest versetzt vor
dem Maschinengewehr, der hat deine
Wahrhastigkeit erdolcht.)

„Gut," sagst du, „verbinden 'wir
von jetzt ab dem Photographen sei-
nen Mund/

Ach, lieber Frennd, es wird dir

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