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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 4 (2. Novemberheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Freideutsche Gesinnung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0328

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Iahrg. 27 Zweites Novemberheft 1913 Heft 4

Freideutsche Gestnnung

>^-^.as war das denn fnr eine Merkwürdigkeit, dieser „sreideutsche
B ^Iugendtag^ droben auf dem Meißner? In verfchiedenen Zei-
tungen der nämlichen Parteien, sogar in ein und derselben Zei-
tung ftand darüber zu lesen, was wie Süßmilch und Galläpfeltinte ver-
fchieden war. Iugendtage haben wir bisher nur bei Sport und anderem
Iuchhei, nie „zu ernsten Zwecken" gehabt — wollen etwa die Iungen an-
fangen, von fich aus Kultnr, von fich aus Geschichte zu machen? Heim-
lich antifemitifch-konfervative, wie die einen, heimlich demokratifche, wie
die andern, oder gar anarchistische, wie auch welche andeuten? Oder
wollen fie gar eine neue „Partei" gründen? Soviel ist auch dem fried-
lichen Bürger gewiß, dem von allem Vorhergegangenen nur ein paar
Zeitungs-Notizen-Schatten um den Kopf gehuscht sind: seit langem
rumort was in unfrer Iugend. Nnd nun hat ein so hochangesehener
Prosessor wie Natorp^ sehr ernsthaft davon gesprochen, andre Leute
auch — also: was hat das zu bedeuten? Aus der Einladung und der
Festschrist schallten allerlei Stimmen durcheinander — welchen davon will
man folgen?

T

Unter den schönen Eindrücken aus diesen Tagen wird mir einer vom
Vorabend unvergeßlich sein. Auf der alten Burg Hanstein saßen und
standen die Vertrete^r der einladenden und befreundeten Verbände bei-
sammen im hohen Rittersaal, der bei den paar Kerzen des Kronleuchters
in malerischem Halbdunkel lag. Man sprach darüber, was all dem
Werdenden aus so viel Keimstöcken wohl gemeinsam sei, ob man sich
einigen könne für ein Zusammenwirken — und es schien nicht so. Der
sprach für dieses Sonderziel, der warb für jenes, der klagte über etwas,
der schalt auf was andres, der wies dort, jener ganz wo anders hin.
Recht deutsch ging es zu, mal schulmeisterlich im Kampf gegens Schul-
meistern, mal mnduldsam im Verlangen nach Duldsamkeit, mal verständ-
nislos im Ringen um Verständnis, oft unpraktisch und unpolitisch. Hinter
den erregten Stimmen aber war noch ein Tönen, das summte durch die
alten Fenster vom Abendhimmel herein aus der Iugend, die draußen
sang. Alte Volksweisen jetzt, alte Kirchenlieder nun, lauter oder leiser,
je nach Rede und Pause, da war es immer, und sobald einer schwieg,
herrschte es auch im Saal. Nun sah man wieder auf die Redner —
wie ernst es all diesen Menschen war. Wie gar nicht um Vorwände, wie
heilig um ihre Sache! Die guten Gesänge von draußen her paßten zu

* Bei der Wichtigkeit der Sache darf ich vielleicht die Leser bitten, Natorps
kurzen Aufsatz in unserern zweiten Oktoberheste vor allern weiteren nochmals zu
lesen? ' A
 
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