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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Heinz, Wilhelm: Betrachtungen eines Schlaflosen
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Von der Mystik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0235

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Das Recht der lebendigen Krast verträgt sich nicht mit
den Prinzipien der toten Lnergie. Man vergleiche die hohe
Lntwicklung moderner Materialbeherrschung mit dem primitiven Stand
moderner Menschenbehandlung, die erstaunliche Verfeinerung der Me-
chanismen mit der erstaunlichen Vergröberung moderner Arbeitsordnun-
gen! Wie kann es auch anders sein, — wir sind den unbegrenzten Ge-
horsam des leblosen Apparates viel zu sehr schon gewohnt, als daß wir
noch Geduld für die Bedürfnisse seelisch-gebundener Kraft haben könnten.
Ia, es scheint, jeder Fortschritt in der Bewältigung der äußeren Natur
vermehrt nur die Verständnislosigkeit für die ganz andersartigen Be-
wegungsgesetze und Herrschastbedingungen des inneren Lebens.

Damit ossenbar hängt es zusammen, daß sich Religion und Technik
durchaus nicht vertragen können. Die Geschichte unserer Kultur, besonders
die Geschichte der letzten vier Iahrhunderte, beweist's evident: um über-
haupt „zur Technik zu gelangen", müßte man zuvor die Religion ab-
schafsen. Religion ist ja die denkbar schärfste Parteinahme sür die leben-
dige Kraft, die Quelle aller Menschenrechte, der tiefste Ausdruck des
Anberechenbaren und Unbekannten, — Religion ist Verinnerlichung und
also auch Rnabhängigkeit gegenüber dem Vergänglichen. Das alles wider-
streitet aber durchaus den seelischen Voraussetzungen der technischen Kultur
und den materiellen Vorbedingungen technischer Prodnktion: Der Wille
zur Natureroberung setzt ungeteilte Diesseitsbejahung voraus, und der
Erfolg der maschinellen Arbeit ist abhängig von der planmäßigen Stei-
gernng und unaushörlichen Anregung materieller Bedürsnisse. Was wir
an Kunst der Menschenbehandlung noch übrig haben, konzentriert sich
infolgedessen auf die Reklame. Ihr ist kein Opfer zu groß und keine
„Idee" zu gemein, wo es gilt, gegen die Genügsamkeit zu protestieren und
jedes Bewußtsein höherer Zwecke durch die Hervorkehrung des Nichtigsten
zu verdrängen. Wir finden es aber einstweilen nur „unästhetisch", wenn
die Landschaft oder das Stadtbild durch Zwei-Psennigs-Zigaretten-Plakate
und Keeksofferten „verunziert" werden oder uns einer mit meterhohen
Lichtbuchstaben ungefragt von allen Dächern zubrüllt: „Schuhcreme Ideal
ist unentbehrlich/ ^

G

Hat Goethe unsere Zeit geahnt, als er die Ballade vom Zauberlehr-
ling dichtete? And wird die Zauberlehrlingstragödie der technischen Kultur
so gnädig enden wie jenes Gedicht? Wilhelm Heinz

Von der Mystik

^>^er Name hat der Sache geschadet, wie so oft. Eigentlich bedeutet
^-^^Mystik nur etwas, das von Verborgenem, Geheimnisvollem handelt.

Von etwas also, das nicht ohne weiteres im hellen Licht des Ver-
standes verläuft, sondern in tiefer liegenden verborgenen Seelenschichten.
Das konnte mißbraucht werden. Statt daß es sich um wirkliche, „reale"
Kräfte handelte, die nur eben tieser lagen und deshalb nicht wie die ober-
flächlichen rationell gedeutet und untereinander verknüpft werden konnten,

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