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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Von der Mystik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0236

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war es auch möglich, allerlei Halbgedachtes, allerlei wunderliches Zeug
mit der Bezeichnung zu decken. Und dies ist denn auch so reichlich
geschehen, daß man in vielen Kreisen unter Mystik etwas Abstruses ver--
steht, um das sich zu kümmern einem halbwegs vernünftigen Menschen
nicht ansteht.

Noch nach einer andern Richtung schadet der Name. Ls ist verständlich,
daß wenn es sich um reale aber sehr tiesliegende, verborgene Gefühle
handelt, die Gefahr nahe trat, die Verbindung aus ihnen bis hinauf
ins Tagesleben nicht zurückzufinden, also in ihnen zu bleiben und für
die gewöhnliche Tageswelt, in der die Frömmigkeit eigentlich sich bewähren
und damit auch kontrollieren muß, eine andere rein gefühlsmäßige mystische
Welt zn erdichten, um in ihr zu leben.

Da dies häufig genug aus einer Gefahr eine Wirklichkeit wurde, so
wird von oberflächlichen Beobachtern geradezu als Merkmal für Mystik
genommen: daß sie fürs Leben untauglich mache und nur für allerlei selige
Gefühle stimme. Davon ist soviel richtig, daß allerdings jede Mystik ein
gewisses Erleben und Leben in diesem Grunde unsres seelischen Seius
für nötig hält. Ein Sichversenken und --vertiefen in dieses innere Leben,
ein Atemholen, eine Erholung in diesem Bewußtsein. Aber ich kann darin
nichts anderes finden, als die ernstgenommene Religion selbst.

Dazu kommt, daß jede krästigere Religiosität zunächst darauf aus ist,
den Menschen aus der Verflochtenheit ins Allerlei loszureißen; und da
diese allerangestrengteste innere Tätigkeit nach außen hin wenig sichtbar
wird, so pflegt sie den Zuschauern als bare Ruhe und reiner „Quietismus"
zu erscheinen.

Nicht ganz von ungefähr! Wie sehr nämlich auch der, der solches
Erleben, ein solches Sichzurückziehen in den eignen Seelengrund gesucht
oder gefunden hat, — wie sehr er darauf aus sein mag, diese neugefundene
Kraft im Leben zu dewähren, er wird nicht verhindern können, daß jene
Zeit der Sammlung, Vertiefung, Lntscheidung ihm selbst so sehr als das
eigentlich Wichtige, als der eigentliche Hauptinhalt seines Lebens erscheinen
wird, daß alles Tun, das daraus geflossen ist, ihm klein und nichtig
dagegen vorkommen wird. Auch bleibt ja natürlich die Vertiefung nicht
auf eine bestimmte Zeit beschränkt, sondern begleitet alles Leben des
Frommen; und auch dieses mitziehende Immerwiedereintauchen erscheint,
so wenig Zeit es dem täglichen Leben nehmen mag, dem Erlebenden selbst
als das unendlich Wichtigere. Nicht die etwaigen „schönen Gefühle"
und genußreichen Stimmungen! Es ist ja nur natürlich, daß, was nach
dieser Richtung hin erlebt wird, von dem, der es erlebt hat, in Ehren ge-
halten wird. Aber gewiß würde bei einer Betonung solcher Lmpfindungen
die Gefahr geistiger Verweichlichung drohen und überhaupt der ganze
Sinn des religiösen Lebens verfälscht werden. Wem eine große Liebe
in sein Leben gefallen ist, der wird weder die inneren Kämpfe, die damit
zusammengehangen haben mögen, noch das Freundliche und die Ver-
zauberung, dazu es ihm angeschlagen sein mag, verleugnen oder gering
achten wollen. Aber wer das Wesen der Liebe in diesen Genuß, sei es
auch geistigen Genuß, setzt, den werden wir für einen halten, der auf diesem
Gebiet am Wesen der Sache vorbeigelebt hat — hosfentlich ist er auf
andern Gebieten besser gefahren — wir werden uns von ihm keine
Aufschlüsse holen mögen. Doch auch der, dem aus einer solchen Liebe ein
arbeitsames Sichgegenseitigheben, Zusammenstehen und Höhersteigen ge-
 
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