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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Von der Mystik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0237

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worden ist, wird den Trunk aus ihr in Ehren halten und die Quelle solcher
Förderung nicht vergessen.

Es gibt noch eine dritte Arsache der Meinung von der Tatlosigkeit
der Mystik. Das ist der Umstand, daß dem eigentlich stärksten Leben,
dem eigentlich aus der Tiefe wirkenden Willen überhaupt etwas wie
eine große Ruhe eignet. Das Zappeln und die Melgeschäftigkeit ist eben
nicht die eigentliche Außerungsform der Kraft. Die größten Taten stam-
men doch wohl aus den versunkensten Gemütern — wenn auch vielleicht
nicht die gesehensten. Nämlich je mehr sich der Mensch in die Kette
der Naturdinge hineinstellt, desto mehr kann er rein äußerlich von der Be-
wegung seiner Nmwelt fortgestoßen werden. Nnd auch wenn er tieferen
Regungen zugänglich und einer gewissen Selbständigkeit fähig ist, wird
gerade die Eifrigkeit seines Tuns am wenigsten das sein, was aus den
tiefer liegenden Gründen hervorströmt. Denn dazu bedarf's unter anderm
auch Zeit. Aus der Tiefe heraus, in welcher die Gottheit wohnt, handelt
es sich nicht so schnell. Man handelt da mehr inbrünstig, intensiv, nach-
haltig, mit gesammeltem unlaunischem Gemüt als gerade eifrig und stoß-
weise. Die beste und treueste Wirksamkeit ist doch wohl nicht die, die am
meisten gesehen wird. Man sieht und spürt sie erst durch ihre lang-
dauernde Wärme und Innigkeit.

Dazu kommt noch etwas.

Ls gibt nicht nur Religion und Anreligion oder tiefere und ober-
flächlichere Frömmigkeit. Es gibt auf sonst gleicher Ebene doch sehr ver-
schiedene Veranlagungen, welche die Frömmigkeit so oder so färben. Dieser
Verschiedenartigkeit der Anlagen entspricht dann das Bedürfnis der All-
gemeinheit nach abgesonderter sorgfältiger Einübung ihrer einzelnen Fähig-
keiten. Davon verspricht sie sich eine Krafterhöhung in all ihren einzelnen
physischen und psychischen Gliedmaßen. And gerade damit kraftvoll und
einheitlich von sich selbst beherrschte, in sich selbst organisierte, starke zugleich
und reiche Krafteinheiten sich bilden, ist es nötig, daß alle einzelnen
Fähigkeiten mit Einseitigkeit geübt werden. So entsteht eine Art von
Berufsgliederung auch in den innerlichsten und zukünftigsten Sinnen der
Menschheit. So sondern sich voneinander mehr ästhetisch empfindende
Menschen, mehr technisch betrachtende, alles auf ethische Werte ziehende
Geister, reine Genußmenschen (wobei nicht an unedlen Genuß gedacht zu
werden braucht), rein asketische Menschen und so auch solche, welche aus
der Religion nicht nur ihre Kraft ziehen, sondern auch in sie sozusagen
ihr Kapital einlegen.

Diese Anterscheidung in Leute religiöser Gesinnung, doch nicht religiösen
Berufs und solche mit ausdrücklich religiösem Beruf — so wie man ästhetisch
empfindliche Menschen doch immer noch von eigentlichen Künstlern scheidet,
— wird nun gekreuzt durch die ganz andersartige Scheidung nach der
Tiefe der Erlebnisebene. Anter sonst gleichen Verhältnissen erlebt der
eine dasselbe Ereignis als eine umstürzende Katastrophe, das dem andern
kaum die Seele streift. Diesen letztern würde wahrscheinlich ein ange-
branntes Mittagessen tiefer berühren und zu hestigeren Gegenwirkungen
anregen, als die Niederlage einer von ihm geteilten Äberzeugung. Da
er nämlich beides auf der gleichen Fläche erlebt, so macht sich geltend,
daß das Mittagessen da wenigstens zu tzaus ist, die Äberzeugung nicht.
Doch gibt es nicht etwa nur die Scheidung in oberflächlich und tief,
sondern es gibt unzählige Grade der Tiefe und anderseits auch der Ober-
 
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