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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Kuntze, Friedrich: Dum calculat Deus ...
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Schumann, Wolfgang: Neue Klänge im Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0590

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schaft der die Natur und der die Geschichte regierenden Forrngestalten
in einer jenseits des (Lrkennens liegenden Macht läßt auch hier eine Ver-
söhnnng, wie iin Nebel, durchscheinen. „Lin unermeßner Bau im schwarzen
Flor der Nacht — Nächst um ihn her mit mattem Strahl beschienen",
so stand die Natur vor dem Wilden, und wir wissen, welche unermeßliche
Arbeit getan werden mußte, dieses anscheinende Chaos als eine geordnete
Mannigfaltigkeit zumindestens begreifen zu wollen. Aber der Morgen
h a t doch endlich einmal getagt. Ist es dann eine ganz vermessene Hofsnung:
daß Augen, die allerdings erst in einer fernen Zukunft das Morgenrot
sehen werden, dermaleinst die verborgenen Linien erschauen können, in denen
sich das moralische Gesetz durch die Geschichte zieht, daß sie das Wort
des Leibniz werden übersetzen können: „Wie ein Gott rechnet, so wird die
Welt" ? Friedrich Kuntze

Neue Klänge im Drama

^»^ie Weisen der Dichter, inneres Leben auszudrücken, sind auch in
>-H^einem Zeitabschnitt nach Sprache, Auftrittbildung, Personengestal-
tung von jeher verschieden gewesen. Wohl hat es Sinn, Stil-
perioden zu unterscheiden, indem man das Wesen einer Zeit nach der
Art ihrer stärksten Kräfte nennt. Aber es lausen stets verschiedene Ströme
nebeneinander her, nie gibt es eine einzige herrschende „Sprache der
Dichtung". Hat ein Strom im stillen aus mancherlei Quellen Kräfte
gesammelt, so geschieht es wohl, daß er plötzlich vor aller Augen stärker
und bedeutender daherzurauschen scheint, als man ihn eben noch ver-
mutete. So lösten die um Schlegel und Tieck mit ihren nahen und ent-
fernten Geistesverwandten durch den „Romantiker" die „Klassiker" ab.
Unsere Zeit, reicher an Menschen als jede frühere, zeigt die gleiche Viel-
heit der Ziele und Wege; aber auf jedem Weg, zu jedem Ziel bewegen
sich nicht zwei oder drei nur — wir sind bevorzugt oder verurteilt, überall
Gruppen, Dutzende von Gleichstrebenden zu finden. Es ist sreilich selten
das „Ohr der Nation", das sie gewinnen, sondern wiederum nur die
Teilnahme einer gewissen größeren Gruppe des Publikums, die ihnen
ihre Lrfolge, ihre vergänglichen Blütezeiten schafft. Man kann heute
in jedem „Ton" dichten, irgendwo findet sich schon ein Wahlverwandter,
dem er gefällt und der das den Wahlverwandten weiter kündet. Vielleicht
warten zwei, drei und noch mehr Gruppen heute nur auf den starken,
hinreißenden Poeten, der aus innerster Anlage ihre Kunst zu einem
breiteren Siege sührt und so Hunderte von Mitläufern erzeugt — dann
haben wir einen „neuen Stil", historisch betrachtet. Asthetisch gesehen,
wird er freilich wohl mindestens so alt wie neu sein, denn die Möglich-
keit, durchaus Neues zu schaffen, ist vielleicht kaum vorhanden, soweit sie
aber besteht, liegt sie wohl bei den Einzelnen, den Genialen eher als
bei den Parteihäuptern.

Trifst das Gesagte zu, so ergeben sich zwei Folgen. Einmal halten
die Gruppen, von denen wir sprechen, im allgemeinen künstlerisch ein
gewisses Mittelmaß, eine von Mehreren erreichte Höhe inne; sie warten
auf den starken Mann, der die bereiteten Gefäße von sich aus größer ge-
staltet und bis zum Rande füllt. Dann aber ist ihnen meist gemeinsam
eine Art lehrhafte Nebenbedeutung der Werke; wer sie liest, fühlt sich
ab und zu nicht allein dem Gestalteten gegenüber, sondern dem Dichter
 
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