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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Schumann, Wolfgang: Neue Klänge im Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0591

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selbst, der halb hervortritt und andeutet: so muß Dichtung sein, wenn sie
wirklichen Wert haben soll, dies ist ihre Sprache, ihr Sinn. Man wird
solche Illusionen gern verstehen, da sie das Mißverhältnis zwischen Wollen
und Können, den Gegensatz, in dem einer sich zu seiner Zeit fühlt, ihm
milde verschleiern, aber daß sie nur in Kunstwerken geringerer Bedeutung
auftauchen können, ist wohl trotzdem gewiß.

Ein Beispiel ist heute schon Manchen bekannt geworden: die „Neu-
klassik". Noch immer umfängt uns, trotz aller Reaktionen, die Luft des
„Realismus", noch immer kommen unsre größten Werke in Sätzen und
Auftritten daher, die ganz oder „zur Not" oder zum Teil auch im All-
tagleben so erklingen könnten; wir können mit dem Hinweis auf haupt-
mann, Holz, Nabl, Mann, Schnitzler oder die Hunderte von Gleich-
strebenden leicht erhärten, daß die große Suggestion* noch immer
die von f895 ist. Das offenbart sich nicht minder als im Positiven
auch im raschen Verwelken der Hofmannsthalschen Versblüten oder in
dem Streben der geschichtlichen Romane nach geschichtlicher Wirklichkeit-
treue gegenüber der Vergangenheit. Nnd inmitten dieser großen Suggestion,
deren Miturheber Holz jetzt erst zur Befestigung und Vollendung seines
Werkes schreitet, erhebt sich je und je, in mancherlei Weisen, Spposition.
So bringt ein Linsamer das Wort auf, große Kunst könne nur im
„hohen Stil" sich kundtun; wahre Tragik sei mit der Darstellung der
umweltgebundenen Menschen der Neuzeit unvereinbar, da sie den Helden
zur Voraussetzung habe; nicht seelische Kleinarbeit könne das Ziel einer
auf Dauerwert Anspruch erhebenden Kunst sein, sondern allein die strenge
Abhandlung großer menschlicher Probleme und Motive; leicht sei es,
die Wirklichkeit abzumalen, schwer, den festgefügten Aufbau eines Dramas,
die entsagungreiche Abwicklung eines klar durchdachten Novellenmotivs
durchzusühren; moralisch indisferente Kunst sei die Losung eines schwachen,
hoheitvoller Ernst in der Kunst das Zeichen eines bedeutenden Wollens.
Zu solcherlei Gedanken ließen sich aus der Weltliteratur leicht Material,
Vorgängerschast und Kronzeugen aufsinden; auch sie boten Grundlagen
zu einer Kunsttheorie, die reiche Ernte verhieß. Und so traten „Neu-
klassiker" auf den Plan, um die sich jüngere Kräfte sammelten, Essays
und „Gesetze^ entstanden, Werke wurden geschrieben, Verwandtschaften
und Parallelströmungen erkannt, Bündnisse auf Iahre und auf Monate
geschlossen, auf andre Gebiete wurde das Grundsätzliche des Denkens
übertragen — ein neuer Ismus war geschaffen, auf dessen Flagge der
Name Paul Ernst in großen Zügen geschrieben stand. Allein Kunst-
theorien schaffen noch nicht Kunst, sondern höchstens Theoriekunst. Aus
Opposition allein gebiert sich noch nichts Bleibendes, es gehören zeugende
Kräfte dazu, und eben an diesen mangelte es der neuen Gruppe. Heute
bedeutet sie sast schon eine verunglückte Revolution, einen Irrtum von
gestern.

Von andern Neutönern, die ich aber nicht mit einem neuen — ismus
belegen will, soll hier die Rede sein. Es ist wahr, wir kommen an das

* Das Wort ist natürlich sür die Nichtung des durchschnittlichen Schaffens
nicht herabsetzend gemeint: ich verstehe unter Suggestionen weitester Ver-
breitung Wirkungen des Geistes einer Zeit, von denen man Anregungen emp-
fangen, auch wohl unterjocht werden kann, die aber schöpferische Kraft nicht
ausschließen. D. V.
 
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