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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
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Walzel, Oskar: Georg Büchner: (Geb. 17. Oktober 1813)
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Schmidt, Leopold: Giuseppe Verdi
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0143

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ich bin nur Lins, ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut,
ein Stroin." —

Noch nicht ein Vierteljahrhundert hatte Büchner miterlebt, als er
abberufen wurde. Im Gegensatz zu den beiden Tragödien des politischen
Genies und des Armen im Geiste, dessen Gefühlsleben zu zart nnd zu
empfindlich ist, bleibt sein Lustspiel „Leonce und Lena" im romantischen
Fahrwasser der Komödien Tiecks und Brentanos, ohne sie zn erreichen oder
gar überholen zu können. Ein Novellensragment endlich blickt in die Tiefe
der unglücklichen Seele des Dichters, dem Büchner innerlich am stärksten
verwandt ist: Lenz. Gewiß mehr Hosfnungen als Erfüllungen! Doch wie es
ungerecht ist, Büchner trotz seiner hohen Begabung die Möglichkeit dichteri-
scher Fortentwicklung abzusprechen, so nimmt doch auch den Mund zu voll,
wer da meint, sein jähes tzinsterben bedeute für Deutschlands Kultur einen
noch größeren Verlust als der Tod des reifen Schiller. Was sollen uns
solche trübe Blicke in eine Zukunft, die nie Wirklichkeit werden konnte?
Diesenl tragischen Verkörperer chaotisch durcheinanderwühlender schrofser
Gegensätze ist ein paarmal geglückt, dem Menschenleben einen Augenblick
und ein Wort abzulauschen, die in den saftvollsten Schöpfungen des jungen
Goethe ihren Platz behaupten könnten. Besseres kann einem Frühver-
blichenen kaum nachgesagt werden. Oskar Walzel

Giuseppe Verdi

tzM^um zweiten Male in diesem Iahre schickt sich die musikalische Welt an,
I>^der dankbaren Lrinnernng an einen großen Toten sestlichen Ausdruck
^)zu geben. Am jO. Oktober wurde Giuseppe Verdi geboren. Das
gleiche Iahr hat uns Richard Wagner und ihn geschenkt. Auch sonst liegt
der Vergleich mit dem Bayreuther nahe: wie dieser hat auch Verdi sich
fast ausschließlich als Dramatiker betätigt, und beide teilen sich in die
Weltherrschaft auf der internationalen Opernbühne. Lin seltsames Phä-
nomen; denn die reformatorischen Ideen Wagners schienen bestimmt, dem
Italianismus in der Musik den Garaus zu machen. Doch siehe da: sie
drangen durch, nnd trotzdem behauptete Verdi seine Stellung, ja rettete
sich durch Wandlungen, die nicht sowohl einer raffinierten Anpassungs-
fähigkeit als einem konsequenten inneren Entwicklnngsprozeß zuzuschreiben
sind, in die Zukunft hinüber. Am Lnde wie am Anfang seines Schaffens
stand er im Linklang mit seiner Zeit. Das macht seine Größe aus, die
wir heute bewundernd anerkennen.

Das Lebenswerk Verdis zerfällt in drei deutlich gesonderte Gruppen
von Werken. Man liebt es neuerdings, eine geschichtliche Betrachtung, die
in dem Schaffen eines Künstlers verschiedene Epochen unterscheidet, eines
äußerlichen und willkürlichen Verfahrens zu bezichtigen. Das geschieht
sicherlich zu Rnrecht, wo solche Grenzlinien sich von selber ziehen. Wir
müssen uns nur darüber klar bewußt bleiben, daß sie nie im Bewußtsein
des Künstlers vorhanden sind, daß seine geistige Entwicklung sich natürlich
ununterbrochen vollzieht. In ihrer Stellung zur Zeit aber und in ihrer
Wirkung auf sie können einzelne Werke oder ganze Perioden des Schaffens
sehr wohl unter getrennten Gesichtspunkten zusammengefaßt werden, und
solche Einteilungen können zum Verständnis der Gesamterscheinung bei-
tragen. So hat auch Verdi sich fraglos nicht etwa ruckweise nnter bewußt
empsundenen wechselnden Linflüssen (wie manche meinten), sondern stetig,

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