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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Rath, Wilhelm: Was viel gelesen wird: vom Typus Eschstruth
DOI Artikel:
Schmidt, Leopold: Meyerbeeriana
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0428

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In der Welt der aufrichtigen Hintertreppenhaftigkeit trat „Vas vieti8"
schon spatestens mit dem zweiten Kapitel des zweiten Bandes ein. Bun
aber, gegen das Ende hin, steigert sich die Sache immer gruseliger in den
unbedingten Schundheftchenroman hinein. Der Bruder Ellinors, der vom
Vater zu ihren Gunsten benachteiligt worden war, wird zum Testaments--
fälscher, und der syrische Wolf erdolcht ihn bei der heimlichen Dokumenten-
vortäuschung. Selbftverständlich hat ein Diener Erdolchrrng und Lntführung
schaudernd mitangesehen und weist den gerade mit zwei Freunden im Kraft-
wagen ankommenden Bonaventura auf die Spur. Es folgt eine rasende
Iagd auf das Auto des Verbrechers, ein tolles Wettrennen mit vergeblichen
Schüssen der Bösen auf die Guten und mit einem höchst sinnreichen Doppel-
mordunfall zum Schluß: ein Leichenzug stellt sich dem flüchtenden Kraftwagen
in den Weg — der eigenartige syrische Wolf erschießt schleunigst Ellinor
und sich selbst — das Auto, das Nicodemo Casfarate noch im letzten Augen-
blick voll teuflischer Schadenfreude mitten in den Trauerzug zu lenken
glaubte, schnellt glücklicherweise, weil des Verbrechers zuckende Hand noch im
Tode das Steuerrad herumreißt, zur Seite und „prallt voll furchtbarer
Wucht gegen einen schweren Grabftein, es überschlägt sich krachend und
schleudert seine Insassen weit hinaus zwischen die ernsten, mondbeschienenen
Gräber". Und es fehlt nicht die Erniedrigung der höchsten Macht zu prompter
Henkerarbeit: . . Da setzte der Allmächtige, welcher noch höher ist denn

alle Vernunst, der Menschenweisheit und ihrer sündhaften Ausgeburt ein
Ziel. Am Kreuz zerschellte, was sich ihm so feindlich entgegengestellt."

So ift das Leben — nach Nathaly von Eschftruth.

Ansre Proben und Streiflichter können keinen Zweifel über das Wesen
dieses Romans, dieser Romanschreiberei übrig lafsen. Wir haben bloß noch
zusammenzufassen: grobe und obendrein verlogene Charakteristik, bewußtes
Vermischen der plumpsten Reize vom Gesellfchastsroman einerseits und vom
Kriminalroman anderseits, Phrase statt des Erlebnisses, falsche Romantik
und falsche Realistik, schlechte und charakterlose Sprache bilden die mehr
allgemein-kitfchige Grundlage; als mehr eschftruthisch kommen eine aufdring-
lich frömmelnde Tendenz und eine weltmännisch tuende FLrbung, Schmin-
kung der auch sonst grausam mißhandelten Sprache hinzu.

Alles in allem: Machwerke dieser Art bleiben insofern freilich unter jeder
Kritik, als eine Erkenntnisschwierigkeit bei ihnen oder eine Meinungs-
verschiedenheit innerhalb der Kritik nicht bestehen kann. Nochmals: daß der-
gleichen sich der Kritik fernhalten will, ist höchst begreiflich. Dann aber
muß die Kritik nachrücken und den Schund nach Kräften un-
schädlich machen. And die Kritik muß sich über die berufsmäßige weit
und weiter hinaus ins Volk der Leser ausbreiten. Dann nur kann das
mit der Zeit einigermaßen gelingen. Die Leserkreise, in denen die Eschstruth
grassiert, sind für die Dichtung, sind für die Literatur als Ausdruck wahren
Lebens und wahrhaftigen Ringens um hohe Güter verloren.

Willy Rath

Meyerbeeriana

Berlin hat sich ein Ausschuß gebildet zur Lrrichtung eines Denkmals
^-"^für Giacomo Meyerbeer. Vielen mag der Plan recht unzeitgemäß,
^-^ja provozierend erscheinen, denn man hat sich gewöhnt, in Meyerbeer
einen argen Sünder wider den Geist des echten Musikdramas, den Gegen-
pol zu dem Ziel aller modernen Kunstbestrebungen zu sehen. Wir leben in
 
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