Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Grupe, Margot: Verzierungskunst in der Nadelarbeit
DOI Artikel:
Heidenfeld, ...: Von der Prozeßseuche
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0047

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
lage bilden und gestalte daraus mit ausdrucksvollen Techniken, ohne nach
Ornamentik zu suchen, eine Verzierung durch einfache innere Belebung
der Fläche! MargotGrupe

Von der Prozeßseuche

^m^ie Statistik führt gewissenhaft Buch darüber, wieviel Menschen
/jährlich an Volkskrankheiten und Seuchen sterben. Aber das wissen
wir nicht: wie viele jährlich der Prozeßseuche zum Opser fallen.
Und doch ist die Zahl dieser Unglücklichen sicher viel größer als die der
Opfer sogar der Tuberkulose. Die verheerende Wirkung der Prozeßseuche
wird klar, wenn man sich zunächst die Menge der im Inlande geführten
Prozesse vor Augen führt. Sieht man von den Strafprozessen und der
übergroßen Zahl der Privatklagen (wegen Beleidigung und unlauteren
Wettbewerbs) ab, so waren (M vor den deutschen Gerichten doch noch
3(62 666 reine Zivilprozesse anhängig und 2 659982 Mahnsachen, zusammen
also 5 822 6^8, das sind gegen sechs Millionen streitige Rechtsangelegen-
heiten. Setzt man diese Ziffern zu der Bevölkerungszahl des Deutschen
Reiches ins Verhältnis, so entfällt — Frauen und Kinder eingerechnet! —
auf jeden zweiundzwanzigsten Deutschen ein Rechtsstreit, wenn nur diese
Prozesse berücksichtigt werden; dagegen auf jeden elften (wieder Frauen
und Kinder eingerechnet!), wenn man auch die Mahnsachen mitzählt.
Dabei ist berücksichtigt, daß sehr viele Leute gleichzeitig viele Prozesse
führen, anderseits aber, daß die weitaus meisten Prozesse zweiseitig sind>
also zugleich mindestens zwei Personen betreffen. Es ist ferner daran
gedacht, daß etwa ein Sechftel der Mahnsachen in ordentliche Prozesse
übergeht und von der Zahl dieser abzuziehen ist. Das niederschmetternde
Ergebnis bleibt also. Darf man da nicht von einer Volksseuche sprechen?
And wie uuheilvoll sind die Folgen dieser Krankheit!

Prozesse kosten Geld und Lebenskraft. Sie sind kein Kampf ums Recht
mehr, sondern ein Kampf zweier Portemonnaies und Nervensysteme gegen-
einander. Es kommt oft darauf an, wer's am längsten aushält. Von
selbft werden wir damit auf die Dauer der Prozefse hingeführt. Bei
den Amtsgerichten dauerte schon die Hälfte der Prozesse (Gegenstand
bis 600 Mark) über drei Monate. Beim Landgericht wurden dagegen
nur ^6 vom Hundert in sechs Monaten erledigt, 29,( v. H. beanspruchten
6 bis (2 Monate und der Rest mit 2^,9 v. H. mehr als ein Iahr. So
in Preußen für (9((. In Bayern, Sachfen und Baden ist es ähnlich.
Hiernach ist die Dauer eines Amtsgerichtsprozesses bis zur Rechtskraft
auf ein Iahr und die eines Landgerichtsprozesses für zwei Instanzen auf
dritthalb Iahre zu veranschlagen. Auf die Revisionsinstanz kommt ein
weiteres Iahr. Denn das Reichsgericht setzt bei seiner Äberlastung Termine
auf ungefähr ein Iahr hinaus an. Es ift daher leicht begreiflich, daß
ein Prozeß auf die Nerven geht. Immer in Erwartung, Hoffnung, Be-
fürchtung. Immer neue Schriftsätze, häufig genug mit perfönlichen An-
griffen. Immer wieder Vertagungen. Arger mit dem eigenen Vertreter.
Aber es geht auch auf den Geldbeutel, denn die Koften sind sehr hoch. Sie
betragen für zwei Instanzen bei einem Gegenstande von 50 Mark
8^,30 Mark und bei einem von 500 Mark ^63,30 Mark. Sie stehen also
in gar keinem Verhältnis zum Streitgegenstand. Am meisten betrosfen
sind die niedrigen und mittleren Objekte. In diesem Rahmen prozessieren

23
 
Annotationen