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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Von der Mystik
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Meyer, Richard M.: Krisis, Krach, Bankrott der Literaturgeschichte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0241

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und jedenfalls seit Luther geworden ist, erst in dem angelsächsischen Reflex
derer um Carlyle kennen gelernt haben (einige wichtige Beziehungen auch
durch den Dänen Kierkegaard), während das Original der Wiedererweckung
unter seinem Volke noch wartet. Hoffen wir: nicht mehr lange. Bonus

Krisis, Krach, Bankrott der Literaturgeschichte

ie folgende Polemik — der Titel stammt von Professor R. M. Meyer —
jbezieht sich auf einen Aufsatz Czard Niddens, worin er im ersten
Augustheft die „Krisis in der Literaturwissenschaft" behandelte.
Sein Inhalt war in der Hauptsache dieser: die Schwierigkeit, Lrich
Schmidts Berliner und Iakob Minors Wiener Lehrstuhl zu besetzen,
lenkt die Aufmerksamkeit erneut auf die heutigen Zustände der Literatur-
wissenschaft. Zwar sind wirtschaftliche Gründe da, welche den wissen-
schaftlichen „Nachwuchs" auf diesem Gebiete einengen, auch bestehen
„rassenpsychologische" Bedenken gegen gewisse noch nicht offiziell gemeldete
„Kandidaten". Dies alles genügt aber nicht, um den Mangel an einer
hinreichenden Zahl bedeutender Vertreter der Literaturwissenschaft zu er-
klären. „Nicht eine Professorenkrise, sondern eine Krise der Literatur-
wissenschaft ist ausgebrochen." Das pseudowissenschaftliche Verbot, ein leben-
diges Verhältnis zur Dichtung in der wissenschaftlichen Arbeit zu be-
tätigen, der leblose Betrieb, zu dem „Statistik, Buchstabenglauben, Wort-
glauben, Papierglauben, ein guter Zettelkasten und ein tüchtiges Maß
von Sitzfleisch" genügt, schreckt viele und vor allem die Iugend von
der vorzeitig altersschwachen Wissenschaft ab. Daß sie die Lrwartungen
der Gebildeten, die Forderungen der Iugend und der geistigen Kultur
unseres großen Volkes nicht erfüllt, beweisen ebenso die Doktorarbeiten
auf diesem Gebiete wie die meisten Professorenarbeiten, beweisen unsere
Klassikerausgaben, Biographien, Kollegienthemen und Betriebssormen, be-
weist der Mangel an prinzipieller Selbstbesinnung und der Vergleich mit
den methodisch fruchtbareren und menschlich wertvolleren Arbeiten früherer
Generationen. Endlich beweisen es gewisse Anzeichen neuer Bildung-
grundsätze und Bildungformen, eine vielfach fühlbare „Anderung der Ge-
sinnung". Darum wünschte Nidden, daß die Krisis nicht verschleiert,
sondern aufgedeckt und durch vorurteillose Taten behoben werde.

1

^ndem ich die Zeitschriften durchmustere, die wie gewöhnlich eine kurze
OAbwesenheit benutzt haben, um sich mit unbegreiflicher Häufigkeit auf
meinem Schreibtisch anzusammeln, finde ich im „Kunstwart" einen
Aufsatz „Krisis in der Literaturwissenschaft^ von Edzard Nidden, während
im „März" Friedrich Alafberg, da er selbst früher über Dalberg ge-
schrieben hat, gleich von dem „Bankrott der Literaturgeschichte" spricht.
Noch drastischer hatte in der „Schaubühne" schon vor einiger Zeit Iulius
Bab sogar von einem „Germanistenkrach" geredet. Durch dreier Zeugen
Mund, denen ohne weiteres noch andere beigesellt werden könnten, wird
es also kund, daß die Wissenschaft der Hettner, Haym, Scherer durch
die Lpigonen (oder,. wie einige meinen, auch schon durch Scherer selbst)
einstweilen wenigstens völlig zugrunde gerichtet ist; ob eine Auferstehung
möglich sei, und dann in welcher Form, darüber freilich gehen die Mei-
nungen, wie meist im Positiven, auseinander.
 
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