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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Weihnachtsmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0421

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Iahrg. 27 Erstes Dezemberhest 1913 Heft5

Weihnachtsmarkt

^W^ieses Heft ist ein Vor-Weihnachtshest, bei weitem das meiste darin ist
(-^^also dem Markte gewidmet, einer besondern Art von Markt: dem
^^Weihnachtsmarkte. Hört ein Älterer das Wort, so spielt ihm ein
freundliches tzalbtraumgegaukel gern vor, wie's einstens war. Damals ums
Schloß herum in Berlin oder auf dem Altmarkt in Dresden oder auf dem
Münchner Marienplatz. Bei Wachs- und Pfefferkuchenduft, bei Waldteufel-
gebrumm und Bubengeschnatter und Mädelgequiek, das rembrandtische Trei-
ben vor den helldunkeln Buden, von denen ihm jede wieder eine magische
Schaubühne für sich war: hier standen die hölzernen Rosse steis und stolz
wie das von Troja, bloß kleiner, dort trotzten die Festungen aus Pappe, dort
drohte der entsetzliche Riese, der blaubartbärtige Nußknacker, dort Kasperle,
der Optimist, und der echt afrikanisch schwarze Pslaumenmann, dort entleerten
sich die Archen Noäh, unerschöpflichen Inhalts, dort verhießen die Zauber-
laternen Wunder, die wir mehr bewunderten als jetzt der Iunge das Kino.
An den Lcken die schmalzigen Kuchenbuden, die Pakete bunt, wie jetzt Futu-
ristenbilder, und alsdann — für uns Iungen nebenan — das Reich der Er-
wachsenen mit dem gehaltenen Lrnst der Kleider, Hüte, Stiefel und sonstigen
Ramschpracht. Noch wenn man durch die Straßen heimging, in denen die
grünen Kompagnien vom Walde Spalier bildeten, flimmerte das Weihnacht-
liche mit zerstreuten Sternlein weiter von den Blattgoldtupsen auf den
Halsbändern der sanften Bählämmchen, welche die kleinen Mädel anboten,
oder es hüpfte neben uns mit dem Hampelmann. „Koosen Se, immer koofen
Se, Madamken, Stick for Stick 'n Iroschen!" Selbst wie Knecht Ruprecht
beladen, zog man mit der beladenen Mutter heim, und alles Schöne gab
ja doch nur Vorgeschmack dessen, was kommen sollte, des grünen Goldfrucht-
Wunderbaumes, der leuchtete.

Auf jene Iahre ist der große Krieg gefolgt, und dann kam die Gründerzeit.
Mir scheint mitunter, als habe ihr Geist sie selbst nm ein dreißigjähriges
Menschenalter überlebt. Oder sah man nur besser, weil man älter ward? Die
Augen öffneten sich, da erkannten sie hinter dem Weihnachtsmarkttreiben all-
mählich andre Kräfte, als ehedem. Die Schädigung dieser Kinder, die da ihre
Sächelchen ausriefen, das Falsche mancher Sentimentalität, das Mißbrauchen
all der Stimmungen, die sich am Heiltgen nährten, durch nichts als Geschäfte-
macherei, das Nnsolide der Schofelproduktion, die Schande der aufs äußerste
erhöhten Heimarbeiterausnutzung gerade vor dem Feste der Liebe: hinterm
Muttergottesbilde mit dem Kind bei Vater Ioseph im Stall grinste der
Kapitalismus. Da verlernte man das Lachen über die Annoncen, die ein-
ander mit „Gemüt" überboten, über die Konkurrenten, die einander nicht
mit der Kraft ihrer Leistungen allein bekämpften, sondern vor allem mit der
Wucht des Geldsackes, über diese Weihnachtskataloge, die nur anpriesen, was
dafür bezahlt hatte, aber mit Innigkeit, über diese Waschzettelwirtschaft
in den Zeitungen, die das Publikum tausendfältig mit Biedermannsmiene
betrog — und über diese ganze Zeitgenossenschaft, die alles das soweit in
Ordnung fand.

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