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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
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Avenarius, Ferdinand: Weihnachtsmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0422

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Nicht ganz, nern, eben nur „so weit". So weit, daß man keinen Grund
sah, sich darüber „aufzuregen". „Die Welt will betrogen sein", wenn man
nicht geradezu darüber lachte, so zuckte man doch die Achseln darüber. Da-
gegen auszutreten, das HLtte ja gar nichts genützt und einen gar lächerlich
gemacht. LLs mancherstete eben noch in uns allen. Mitverantwortlichkeit von
unsereinem daran? Von allen daran, daß der Pöbel Schundromane
las und Schundware kaufte, daß er auf all das hineinfiel, was ihn aller
Enden betrog, Mitverantwortlichkeit dasür, daß er beim Schunde vergnügt
und zusrieden war, daß er gar nichts andres wollte als Schund? Oder
Mitverantwortlichkeit wohl gar dafür, daß die Gauner Geschäfte machten?
Das ging doch alles andre Leute an! Ich bitte die älteren Leser, sich in die
Stimmung dieser Fahre ein wenig zurückzuversetzen. Dahinein, beispiels--
weise, wie man die Gesellschaftskritik in Ibsens Stücken empfand. Beunruhi-
gend empfand man sie zunächst, als wenn die Scham verböte, mit feinen,
aber freilich zangenhaft festen Fingern zu entblößen. Im tzintergrund ein
dunkles Gesühl: wenn das so weitergeht, was kommt wohl noch alles heraus,
woran wir uns dann beteiligt fühlen müssen. Ibsen war nur einer vom
neuen Geist, plötzlich schien der neue Geist selber da. Er war immer da-
gewesen, aber aufwachen tat er jetzt. Beim Asthetischen, beim Lthischen, beim
Religiösen, beim Sozialen. Wohin wir sahen, daher kam ein Rnbehagen
über uns. Kam die Rnzufriedenheit — die wir segnen wollen.

Aus ihr hat sich entwickelt, was diese gegenwärtigen Iahre schöner macht:
in Tausenden ist der Wille zum Bessern nicht bloß als Fest-, ist er als
Alltagsstimmung da. Als natürliche Lebensstimmung, diesseits aller Künst-
lichkeit, aller Anstrengung. Bei Tausenden steht es so, lange nicht bei allen,
lange nicht auch nur bei der Mehrheit: im Ganzen des Betriebes bilden
wir alle miteinander immer noch nur eine kleine Minderheit. Aber wir sind
der Sauerteig — es gelingt uns mit jedem Iahre mehr, gegen die nur ge-
schäftliche Wirtschaft kritisch, gegen die auchidealistische unwillig und zu der
Erkenntnis geneigt zu machen: daß jeder im Ganzen mithelfen soll, daß
jeder es kann. Und daß er da nicht etwa bloß eine lästige Pflicht hat, sondern
auch ein Recht, das ihm das Bewußtsein seiner Krast und seines Wertes
erhöht und das auszuüben sein Leben froh macht.

Davon, wieviel noch zu wünschen bleibt, sprechen wir wohl im nächsten
Heft — aber ein kurzer Rückblick schon nur auf solche Gelände hin, die den
Weihnachtsmarkt beherbergen oder begrenzen, zeigt, daß wir vorwärts ge-
kommen sind. Lassen wir den Dürerbund und den Heimatschutz ganz beiseite
dabei, obgleich ja beide auf vielen Wegen auch mit dem Kaufen zu tun
machen. Der „KLuferbund" ist geradezu eine Organisation derer, die sich beim
Kaufen verantwortlich fühlen. Auf dem Gebiete des Büchermarktes: früher
gab es ausschließlich Händlerkataloge, die bestimmten Verleger- oder sonst
Interessentenwünschen offen oder verschleiert dienten, jetzt haben sich den
Kunstwart- und Dürerbund-Ratgebern auch auf protestantischer und katholi-
scher Seite geschäftlich uninteressierte Berater gesellt. Beim Iugendschriften-
wesen hat die zähe Arbeit der Lehrerausschüsse auch, wo man ihr nicht freund-
lich war, ähnliche Bestrebungen erweckt, und gegen den „Schmutz in Wort
und Bild" wird überall gearbeitet. Wie bei der Iugendschrift ist aber auch
auf gewerblichem Gebiete die Kritik des Publikums viel anspruchsvoller ge-
worden, ein klares Zeichen für das Wachsen des Geschmacks. Der Sinn für
Zweckmäßigkeit, Solidität, Materialechtheit, Farbenechtheit, Gestaltschönheit,
auch der für Einfachheit ist unzweifelhaft gewachsen. Auch die freideutsche
 
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