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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Meyer, Richard M.: Krisis, Krach, Bankrott der Literaturgeschichte, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0242

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Da der Sänger Lieder schweigen von dem überwundenen Mann, so
muß es wohl dem Literarhistoriker selbst erlaubt sein, zu antworten. Doch
möchte ich gleich am Eingang alles Persönliche beseitigen. Wohl sindet
sich in Niddens Aussatz eine Wendung, die sich unmittelbar auch auf
mich bezieht; und selbstverständlich halte ich die Meinung, die Wissen-
schaft, die ich gern als „die deutscheste von allen" bezeichnet sehe (ich
selbst habe sie als die „Wissenschaft vom deutschen Geiste" definiert), dürfte
Männern von „undeutschem Blute" nicht anvertraut werden, für eine
eben so willkürliche als beleidigende, die übrigens durch Bielschowskys
„Goethe" und seine Erfolge allein schon zur Genüge widerlegt wird/
Indessen ist das ja in jenem Aufsatz ein Nebenpunkt, auf den ich weiter
nicht einzugehen brauche. Ich bitte nur um die Erlaubnis, als jemand
antworten zu dürsen, der die betreffenden Verhältnisse und Probleme
mindestens ebenso gut kennt, als jene drei Kritiker. Und daß ich zu
den vielberufenen „offiziellen Vertretern der deutschen Literaturgeschichte"
nicht gehöre (denn ich habe es zu einer „etatsmäßigen" Professur nicht
gebracht), ist vielleicht in diesem Füll einmal ein Vorteil.

Die Anklagen lassen sich kurz auf drei Punkte bringen: man behauptet,
daß es der deutschen Literaturgeschichte jetzt fehle an großen Männern,
an großen Gesichtspunkten, und an dem richtigen Geist überhaupt.

Die erste Rüge ist einfach zuzugeben. Messen wir mit dem Maß-
stab besserer Zeiten, so bleibt die Kopfeshöhe hinter der der Männer,
die einst waren, weit zurück. Weder Iakob Minor noch Erich Schmidt
haben sich selbst einem Scherer gleichgestellt- ihnen aber wiederum ist wohl
kein lebender Vertreter unserer Wifsenschaft gleichzustellen. Das ist sicher
nicht erfreulich- noch unerfreulicher aber ist es, daß es uns hierin nicht
anders geht als wie den Brüdern allen. Wo sind denn Historiker vom
Rang Mommsens oder Rankes, Physiker von dem eines Helmholtz oder
Kirchhoff, Mediziner wie Virchow oder Kußmaul? Wer hat das Recht,
einer an großen Männern lange Zeit fast überreichen Wissenschaft eine

* Für das „Persönliche", für den guten Ton der Zeitschrift bin ich als
Herausgeber mitverantwortlich, deshalb setze ich den Wortlaut der Niddenschen
Bemerkung in ihrem Zusammenhange hierher: „Am bequemsten machen es
sich jene Auguren, welche mit vielsagender Miene den maßgebenden Stellen
»vorurteilslose« Entschlossenheit empfehlen, wenn auch in solchen Ratschlägen
die Dinge nicht gern bei Namen genannt werden. Wer hier etwas von den
Verhältnissen kennt, weiß, daß füns oder sechs der etwa in Frage kommen-
den, aber offiziös noch nicht gemeldeten Kandidaten »persönlich« nicht genehm
scheinen, da sie entweder mosaischen Glaubens oder wenigstens jüdischer Ab-
kunft sind. Auch wer meint, daß in dieser Wissenschaft jetzt vor allem eine
geistig starke und bedeutsame Leistung nottue, wird dem Empfinden viel-
leicht Verständnis entgegenbringen, das eine an Einsluß so reiche Stelle in
der deutschesten der deutschen Wissenschaften nicht der Rasse nach nichtdeutschen
Männern anvertraut wünscht." Es ist mir vollkommen unverständlich, was
Herr Professor Meyer hierin beleidigend findet; doch bin ich sehr gern
bereit, ihm auf eine nähere Darlegung seines Standpunktes, die vielleicht öffent-
liches Interesse hätte, auch öffentlichen Bescheid zu geben, und bitte ihn
also, sich zu diesem Punkt im Kunstwart äußern zu wollen. Das kann ich
aber jetzt schon mitteilen: wenn er meint, Nidden sei Antisemit, so irrt er sich.

A
 
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