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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Von der Mystik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0240

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Philosoph ein asketisches Leben als das seinem Denken am meisten Frei--
heit gebende zu bevorzugen pflege. Daß man mystische Gedankengänge
auch ans sehr oberflächlichen Gründen nachbeten und sogar neu erzeugen
kann, ist richtig, aber ganz unwichtig, da es für alles und jedes zutrifft.

Ich möchte aber zum Schluß zwei Beispiele ansühren, um zu zeigen,
wie wenig Willensschwäche und Tatlosigkeit im eigentlichen System der
Mystik liegen. Ein altes und ein neues:

Das alte aus Eckehart. Er spricht oft über Versenkung und Tat. Linmal
aber hat er es geradezu zum Thema einer Rede gemacht: Maria und
Martha.^ Lin Lieblingsthema, wenn aus die Gesahren einer zerstrenten
Vielgeschästigkeit hingewiesen werden soll. Für einen Mystiker, wie man
sich ihn vorstellt, das gegebene Thema, um das beschauliche Leben zu preisen.
Aber was finden wir? Eine Deutung der Geschichte, von der ich nicht
weiß, ob sie außerhalb des Eckehart noch einmal vorkommt, uns jedensalls
ganz sremdartig: Martha ist die vollkommene, aus gefestigtem Seelen-
grund heraus Tätige, während Maria in den Ansängen und deshalb den
überquellenden Gesühlen und der Schwärmerei steht. Also bittet Martha
Iesus, ihr darin zu helfen, die Schwester aus diesen Ansängen heraus
in die Kraft hinein zu ziehen. Und Iesns in seiner Gütigkeit tröstet sie:
du sreilich, sagt er, wie ich selbst, wir brauchen uns nicht mehr um das
Eine zu sorgen, denn du hast es errungen, es ist dein Teil. Die da noch
herausgerissen werden können, deren Teil ist Sorge und Kummer um das
Eine; du dagegen stehst in stolzer wohlgefestigter Tüchtigkeit, sreien Gemüts,
durch die Welt nicht gehindert. Aber gib dich zusrieden, auch Maria
hat das beste Teil erwählt, und sie soll heilig werden wie du! — Nun,
diese Deutung spricht jedensalls nicht für einen Hang zu tatloser Versenkung.

Das andre, das neue Beispiel, ist Fichte. Daß er einer der stärksten
Willensmenschen gewesen ist, die in unserm Volk gesehen worden sind, ist
bekannt genng, nicht so, daß er zugleich der stärkste neuere Mystiker war.
Man lese nur die „Bestimmung des Menschen" (von (800) oder die „An-
weisung zum seligen Leben« (von (806). (Beide in der sehr empfehlenswerten
Auswahl der Werke Fichtes in sechs Bänden von Medicus, Leipzig, Felix
Meiner, doch auch einzeln, beide bei Meiner, die „Bestimmung" außerdem bei
Reclam, die „Anweisung" bei Diederichs.) Es ist frappant, wie er an Ecke-
hart erinnert, manchmal bis ans Wort heran. Und bei ihm ist alles Wille.
Der Mensch versenkt sich in den Gottwillen hinein als in den Strom,
der ihn ausnimmt und weiterbildet. Erst Schopenhauer hat aus dieser
gewaltigen Verkündigung vom Willen, der in der Vorstellung die Welt
baut, um in ihr zu handeln und im Handeln an ihr selbständig, frei, selig
zu werden, die kranke Lehre von der Erlösung durch Tötung des Willens
gemacht, worauf dann zu unsern Zeiten Nietzsche die Wiederentdeckung
der ursprünglichen Beziehung mit mehr Geist als reiner ruhiger Kraft
versucht hat. So kommt denn die sonderbare Fügung heraus, daß wir einen
Eindruck dieser wohl deutschesten Religionsaufsassnng, die uns überhaupt

^ Meister Eckeharts Schriften unb Prebigten. Herausg. v. Hermann Büttner.
2 Bände (je 5 M., geb. 6,50 M.); Iena, Dieberichs. Auch die andern Mystiker
sind jetzt in ziemlicher Vollständigkeit bei Diederichs übersetzt erschienen. Dazu
ein Band Texte, der die außerordentliche Schönheit dieses alten Deutsch, das
Luther aufnahm, dem, der sich die Mühe nicht verdrießen läßt, sehr nahe
bringen kann.

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