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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Rath, Wilhelm: Was viel gelesen wird: vom Typus Eschstruth
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0427

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der Unsyrnpathischen entzündet. Als „der so hochinteressante und eigenartige
Syrier" wird Graf Nicodemo Cassarate eingeführt und gleich beigefügt, daß
sein Anblick bereits Bonaventuras „extravagante Gattin in einen wahren
Taumel der Begeisterung versetzte". Gleich danach wird er wieder „der eigen-
artige Mann" genannt. Da Frau Ellinor, sobald er im Speisesaal erscheint,
die Lorgnette gar nicht mehr von den Augen bringt, stellt der so stark
„Provozierte" sich schließlich „mit einem wunderlichen kleinen Lächeln" dem
Gatten vor, und bittet „lakonisch": „Führen Sie mich zu ,maäams ls da-
ronns'." Das geschah — „selbstverständlich sosort".

Die Verfafserin hat nämlich vorher fürsorglich betont, daß Bonaventura
von Völkern nicht im mindesten eifersüchtig sei. Sie hat dabei bloß über-
sehen, daß sie ihn hier und nachher bei der wachsenden Frechheit seines
Weibes und des „Syriers" in Lagen bringt, die kein Ehrenmann von Ehe-
mann auch nur einen Augenblick ertragen könnte und dürfte; ein deutscher
Edelmann und Offizier, dem unsre Sympathie erhalten bleiben foll, erst recht
nicht. Indessen, dies ist nur ein einzelnes auffallendes Zeichen dafür, daß
selbst die äußere Gesellschaftschilderung durchweg wertlos und verlogen ist.

Doch kehren wir noch einen Augenblick zu dem „eigenartigen" Fremdling
zurück. Wie er den Lesern vorgestellt wird, ist zu köstlich, zu lehrreich für
die Kenntnis der reinsten Kitschmanier, als daß es der außereschstruthischen
Offentlichkeit vorenthalten werden dürfte. Er war „kein schöner Mann in
des Wortes eigenster Bedeutung, aber er war (schon wieder!) eigenartig,
so ganz außergewöhnlich und hinreißend originell, daß er selbst die schönsten
Engländer und Franzosen . . . fraglos in den Schatten stellte". Und nun
höre man und schaudere wonniglich: „Ein schmales, fleischloses, sehr scharf-
geschnittenes Gesicht mit kühn gebogener Nase und zwei tiefliegenden
Schwarzaugen, welche in unbändiger Leidenfchaft wie ein Höllenbrand
glühten — große, spitze, blendend weiße Raubtierzähne, welche unter dem
dunklen, kleinen Schnurrbart blinkten, als schliche ihr Besitzer einem Opfer
nach. . . Ein syrifcher Wols! Eine jener kometenartigen Erscheinungen,
von denen man nie recht weiß . . . von denen man munkelt, wie . . . sensible
Seelen bei dem Anblick der langen, schmalen Hände mit den wohlgepflegten
Krallennägeln den Atem so ängstlich anhalten, als fühlten sie diese Hände
plötzlich würgend an ihrem Halse. . . ,Nie sollst du mich befragen!' stand
es voll drohender Abwehr in den finsteren Augen. Ein syrischer Wolf! . . .
Den Hof machte Graf Nicodemo nicht. Er beugte den erzenen Nacken vor
keinem Weib, auch vor dem schönsten nicht. Er befahl, und sie lag zu seinen
Füßen und gehorchte. . ."

Kein Wunder, daß sogar die einst so kalte Freidenkerin diesem König aller
dämonischen Hintertreppenhelden ganz und gar verfällt. Das heißt: zu einem
wirklichen Ehebruch kommt es nicht; das verbietet ja die „Sittenreinheit"
im buchhändlerischen Sinne älteren Stils. Nnd, oh! Nathaly von Eschstruth
hat ein prachtvolles Mittel in Reserve, um die Sünder zu strafen und un-
schädlich zu machen, bevor sie — physiologisch — unmoralisch werden. Der
wahnsinnig eigen- und kometenartige Wolf nämlich — ist ein Verbrecher,
einer der gefährlichsten internationalen, denen je eine große Lokalzeitung
Spalten auf Spalten gewidmet hat! In Tirol will er die Millionärin und
Närrin entführen, ihres Vermögens berauben und umbringen. (O, sie wäre
sein erstes Opfer nicht!) Mittels eines höllenrachenmäßig dekorierten Auto-
mobils (dieses ist ein genialer Einfall) unternimmt er auch die Entführung;
obwohl Frau Ellinor soeben erfahren hat, wer er ist, muß sie mit.

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