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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Rath, Wilhelm: Was viel gelesen wird: vom Typus Eschstruth
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0426

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Gesamteindruck „unter einer außerordentlichen Eleganz steht", wirkt sie im
ganzen nicht gerade häßlich. Desto fataler sind die Einzelheiten: „Die
Nase ist leicht aufgestülpt, die Mundwinkel herabgeneigt, wie bei steter
Äbellaunigkeit, der starke Hals häßlich nach vorn gedrückt, wie bei einem
Kropfansatz" (was freilich durch ein vielreihiges Perlhalsband mit riesigen
Brillantspangen und ein Kettengehänge mit Solitären versteckt ist). Nnd
die Augen erst: ihr elegischer Ausdruck „ist unleugbare Mache — ihre
wimperlose, leicht gerötete Amrandung wirkt direkt unsympathisch". Prächtig
geistreich heißt es später im Dialog: „Der blasiert müde Blick ist nur das
LLtui für ein Tranchiermesser" und wieder ein andermal: „die kalten, so
künstlich verschleierten Augen".

Genug — wer will noch bezweifeln, daß dieses elegante Scheusal hohn-
lachend über die Liebe der süßen Malva hinwegschreitet und, obwohl sie
—! Ellinor — selber eigentlich gar nicht lieben kann, den Gardelöwen, den
Freiherrn von Völkern mit dem so echt preußischen Vornamen Bona-
ventura mittels ihrer Millionen für sich mit Beschlag belegt? Sie geht toll
ins Zeug; der einfache Bürger wird kaum für möglich halten, daß eine
Dame der Hofgesellschaft so einseitig angreiferisch auftritt, um sich den
gewünschten Gatten zu kapern. Um so herzerquickender, himmelhoch erhaben
über die Niederungen des Realismus, spricht Bonaventura von Völkern,
da ihm die Werbung um das ungeliebte Millionenfräulein auf einer nächt-
lichen Schlittenfahrt endgültig nahegelegt wird: „. ..Welch ein Zauber
liegt in dieser Mondscheinnacht, welche die Seele in ein Märchenreich ver-
setzt. Wahrlich, nicht nur in der Maienzeit, wenn der Silberglanz auf den
blühenden Büschen liegt, zieht die Liebe in die jungen Menschenherzen
ein, sondern auch jetzt, wo sie wohl ebenso heiß und innig schlagen!"

Man ist darauf gefaßt, daß die eiskalte Freidenkerin ihren Begleiter
fragt, ob er diesen Quatsch aus einem Eschstruthschen Schmarren aufgelesen
habe; allein — unverhofft kommt oft — statt dessen „klingt es neben
ihm aus dem Pelz heraus": „Wie poetisch Sie sprechen können! Ich
selber habe auch nicht die mindeste Spur von einer Dichterseele an mir,
aber doch höre ich so schöne Worte gern! Sie täuschen über die herrschende
Kälte hinweg und haben etwas Berauschendes, wie Opium — welches ich
auch liebe!" — Wörtlich so geschrieben und in einer „Novität" gedruckt
zu lesen im Iahre des Heils (9(2.

Bei der Hochzeit kündigt eine schauderhaft frostige Stimmung (weil die
kirchliche Trauung auf Ellinors Wunsch unterblieb) schon deutlich an, daß
auf dieser Ehe kein Glück ruhen werde. Aber es kommt noch viel, viel
schauderhafter, als der Leser ahnt. Die geistreiche Ellinor langweilt sich bald
bei dem schönen Bonaventura, und er lumpt sich so durch, da er auf ihren
Wunsch den bunten Rock ausgezogen und nichts zu tun hat. In Agypten
aber, in dem eleganten Luxor, kommt es zum Klappen. Zum Auswendig-
lernen prachtvoll wird ein orientalischer Sonnenuntergang ausgemalt:
„. . . Der Himmel flammte in Lichtgluten, welche vom grellen Schwefelgelb
bis in das feurigste Orange spielten, durchblitzt von Purpurstreifen, welche,
gleich dem königlichen Banner des Tages, zur letzten Huldigung für den
Scheidenden gehißt waren . . . bis das Feuermeer die Regenbogenskala ver-
schlang und wabernde Lohe über die wehenden Schleier der Lichtgöttin
triumphierte..."

Indessen, wunderbarer noch als dieses sinnverwirrende Bildermelange ist
die Erfindung und Schilderung des Mannes, der endlich die Liebefähigkeit
 
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