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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Rath, Wilhelm: Was viel gelesen wird: vom Typus Eschstruth
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0425

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Mehr kann der Leser selbst für den hohen Preis von fünf Mark pro Band
nicht gut aus ernrnal verlangen.

Er könnte zwar, gegenüber einer derartigen Fülle unmittelbarer Kenn--
zeichnung, mit Hans Sachsen sprechen: „Euch macht Ihr's leicht, mir macht
Ihr's schwer"; denn es ist keine Kleinigkeit, sich soviel Unscheinbarkeit
und Herrlichkeit auf einen Schlag vorzustellen. Allein soviel steht fest:
der Löwe des Tages hat eines Tages den entscheidenden Blick getan; und
Malvas „bebendes, heißes, sehnsuchtsvolles Mädchenherz" flog ihm ent--
gegen, wie so viele andere schon vor ihml Es ist trotzdem nicht zu ver--
stehen, wie gerade dieses so unendlich gediegene Mädchen zeitlebens einzig
an dem einen hängt, der — unter uns gesagt — ein ganz trauriger Herr
ist, ziemlich gutmütig zwar, aber sehr unbedeutend, willensschwach, ziellos
und charakterlos genießerisch. Man denke, er zieht sich ungefähr im letzten
Augenblick zurück und heiratet, da sie beide vermögenslos sind, eine uw-
geliebte schwerreiche Erbin. And erst nachdem diese Lhe ohne sein Verdienst
ein Ende mit Schrecken genommen hat und er selbst als Erbe der schreck-
lichen Gattin ein Vielmillionär geworden ist, da erst macht er die sinnige,
minnige Malva mit den Enzianenaugen zu seinem Lheweibe. Indessen,
die Verfasserin will es durchaus so und sie betont dementsprechend die
tugendsame Linseitigkeit und die Anhänglichkeit an dem Weibcheninstinkt
in der angeblich so genialen Seele.

Sie „charakterisiert" auf die alte bequeme Manier: Weißweiß gegen
Schwarzschwarz. Sie kann sich's leicht erlauben, eine so zuckersüße sym-
pathische Heldin herzustellen, da sie ihr eine unsympathische Heldin ent-
gegenstellt, die ein wahrer Spatzenschreck, oder doch Backfischschreck, ein
Ausbund von Z'widerwurzen ist: natürlich besagte schwerreiche Erbin. Wenn
die den schönen Gardelöwen „kriegt", so sagt uns eine sehr deutliche
Ahnung, daß sie ihn keinesfalls behalten wird; die Eschstruthische poetische
Gerechtigkeit kann das unmöglich dulden.

Sie ist ein Wesen eigentümlicher Art, dieses Fräulein Ellinor von
Heym; das muß man der Verfasserin lassen. Mit raffinierter Fertigkeit
hat diese in der einen Gestalt ein „Goldfischchen" und eine fühllos scharfe
Freidenkerin miteinander verschmolzen. Ihre Millionen stammen aus „er--
erbtem Terrain in einem Vorort Berlins, welches jetzt zur Goldgrube ge--
worden". Ihr Vater, der Professor, war — um mit den Leutnants der
Eschstruth zu reden — ein riesiger Freigeist, so eine Sorte wie Darwin
oder HLckel, ins rein Philosophische übersetzt, mit einem kleinen Stich ins
Nietzschesche (!) ... nicht ganz normal, „denn allzuviel Licht macht blind".
Die Kinder, ein Sohn und Fräulein Ellinor, sind selbstverständlich zu
herzlosen, glaubens-- und pietätlosen Lebewesen herangewachsen. Nament--
lich scheint die Tochter „an den Brüsten der exakten Wissenschaft groß-
gesäugt" zu sein. Die unausbleiblichen Folgen sind wunderschön geschildert:
„Du brauchst nur an eines jener Stichworte zu tippen, welche Häckel oder
Nietzsche auf ihr Banner geschrieben, so explodiert Fräulein Ellinor wie
ein Sodomsapfel." Dem kundigen Dragoneroffizier, der diese Auskunft
erteilt, antwortet der Held (offenbar noch nicht ahnend, daß die Eschstruth
ihn mit diesem Sodomsapfel zu vermählen gedenkt), ebenso kurz wie schlicht:
„Brrr! Welch ein giftiger Brodemtt"

Brodem scheint überhaupt ein Lieblingswort der Urheberin zu sein; es
brauchte das Fräulein noch nicht übermäßig zu belasten. Schlimmer spricht
die echt weibliche Charakteristik ihrer Erscheinung gegen Ellinor. Da ihr
 
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