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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1913)
DOI Artikel:
Rath, Wilhelm: Was viel gelesen wird: vom Typus Eschstruth
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0424

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Und wie sieht nun diese Sorte von Literatur aus?

Sie wirkt nach wie vor, aber nachgeprüft wird sie nicht mehr. Die
vielgelesene Frau hat sich selbst oder ihr Verleger hat sie außerhalb
der Kritik gestellt. Die Kritik erhält keine Besprechungsexemplare der
fort und fort hinzukommenden Eschstruth-Bände mehr. Man kann das
vollkommen begreifen. Es wird aber anderseits auch ohne weiteres ver-
ständlich sein, daß wir nichtsdestoweniger, ja gerade deshalb, einmal wieder
in diese Art Geheimliteratur hineinblicken. Sie besteht auch nicht bloß
aus den Romanen der Eschstruth.

Ungeheuer viel Wertloses wird freilich der Kritik vorgelegt, Tag für
Tag wächst die Flut sogar. Aber sobald ein Name bei den crnsthafteren
Organen abgewirtschaftet hat und entweder nur mehr Verurteilung erfährt
oder regelmäßig unbeachtet bleibt, tut der Geschäftsvertreter ganz gewiß
wohl daran, wenn er die vielen Rezension-Exemplare spart und sich nur,
mittels persönlicher Beziehungen, von einigen wenigen Blättchen (sie haben
allerdings teilweise ein stattliches Format oder gar einen guten alten
Namen) ein paar begeistert wohlwollende Zeilen verschafft.

Die Machart der Eschstruth-Romane, wie wir sie an „Vas vietis" wieder
hübsch studieren können, mag stofflich oder moralisch oder auch sozusagen
stilistisch vielen heut mit Recht als veraltet erscheinen, im Kern ist ihre
Methode doch unveränderlich typisch, weil sie auf unsterblich-kitschigen Ele-
menten beruht. Wir haben ja beispielsweise neuere Damenromane mehr
als genug, die sich ebenso „unentwegt" auf die Freigeisterei verlegen, wie
die Eschstruth auf frömmliches Moralisieren, während beide Sorten in
ihrer plumpen Spekulation auf die niedrigsten ästhetischen Instinkte der
Leserwelt durchaus die gleiche Beschaffenheit aufweisen.

Was „Vas viotis" — die lateinischen Titel werden nur noch von weib-
lichen Romanschreibern bevorzugt — in dem Roman bedeuten soll, geht
am klarsten aus diesem Gedanken der einen, der sympathischen Heldin her-
vor: „sie wird nie zu jenen gehören, welche sich von dem bösen Dämon
Gold besiegen lassen und über welche das Schicksal sein finsteres ,Vas viotisd
spricht". Ia, so denkt sie, die „sinnige, minnige" Malva, das „schlichte
Wegkräutlein", mit dem vollen Namen Gräfin Malvine von Kettenau ge-
heißen, die dritte Tochter des Erbherrn auf Schloß Meersburg. Sie weilte
in der Residenz bei ihrem Onkel, dem Kammerherrn, „nicht lediglich, um
die jungen Seelenschwingen in dem Lichtmeer einer Hochsaison zu baden,
sondern um ein großes und geniales Maltalent in dem Atelier eines be-
deutenden Künstlers auszubilden". Da spürt man bereits die hervorragend
schöne und reine Sprache!

Dem Helden, irgendeinem Gardeoffizier, der aus nicht ganz aufgeklärtem
Grund in den Augen der Verfasserin und ihrer weiblichen Figuren „der
Löwe des Tages" (in Berlin!) ist, war Komtesse Malva anfänglich kaum
aufgefallen. „Ihre Toiletten waren zwar recht schick, aber doch sehr ein-
fach, ihr zartes, rosiges Gesicht mit den großen Enzianenaugen mußte
man öfters sehen, wenn es interessieren sollte." Aber dann! Ls folgt die
Charakteristik: „Und das tat es durch das reiche, warme Seelenleben, die
tiefe Innerlichkeit, welche aus diesen unergründlichen Augen leuchtete. Eine
Welt von Empfindung, voll edler Begeisterung und genialer Leidenschaft-
lichkeit lag darin und dennoch (?) etwas so Reines, Unberührtes, wie bei
einem Kinde, welches, sich selber unbewußt, zum Weib herangewachsen."

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