Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Wohin?: Zum Thema: Kultur und Zivilisation
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0017

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
verschieden sind die beiden Begriffe» und wie wenig werden sie doch
bei den Tageserörterungen auseinandergehalten! Alles gärt da noch,
ich kenne bis zum heutigen Tag nicht einmal eine knappe schlagwort-
artig brauchbare Definition. Wie wär es mit dieser: Kultur: die Pflege
unsrer Eigenschaften, Zivilisation: die Pslege und Entwicklung unsrer
Mittel. So viel ich sehen kann, stimmt's. Die äußerlichste sogar der
Eigenschaften, die Reinlichkeit — wir nennen einen Menschen, der sie
pflegt, „kultidiert", der Mann aber, der Seife und Zahnbürsten herstellt,
dient durch seine Fabrikate wohl der Kultur, fabriziert aber keine
Kultur. Wenn die Technik eine bessere Bilderreproduktion ermöglicht,
schasft sie dadurch Zivilisation, die der Kultur dienen kann, oder auch, bei
falscher Verwendung, nicht. Wer die Waffen, die Werkzeuge, die Ma-
schinen aller Art verbessert, schafft Mittel, die schaden können oder nützen
— mit der Kultur haben sie immer nur so weit zu tun, als unsre Eigen-
schaften, als wir selber durch sie entwickelt, veredelt werden.
Dampfmaschine, Eisenbahn, Telephon, Kino, drahtlose Telegraphie, Flug-
zeuge — all das sind Mittel, ob daraus Segen kommt oder Unsegen,
darüber ist mit dem Namen der Erfindungen selbft noch nicht ein Titel-
chen gefagt. Die meiften aber reden und denken, als wäre Zivilisation
an sich schon Kultur. Rnd versäumen bei diesem immer wiederkehren-
den Zusammenwerfen vor Bewunderung der Zivilisation, darauf mit
allem Ernste zu achten, wie die Mittel uns selber nützen oder schaden
können, also: wie sie auf unsre Ligenschaften förderlich oder schädlich
wirken. Meint man, die Zivilisation an sich mache die Menschheit stark,
fo ist das ja ein Trugschluß. Wie der: du hast ein vortreffliches Auge,
denn du siehst durch den Operngucker mehr als ich ohne einen, oder: wie
rasch sind deine Beine, denn wie rasch kommst du mit dem Auto vorwärts.
Solche Trugschlüsse können gefährlich sein, wie der: du bist gescheit, alles
weißt du aus deinem Buch, und wie der: du bift geschickt, denn deine Ma-
schine arbeitet gut. Operngucker, Auto, Buch, Maschine sind nicht w i r. Ma-
schinen und Instrumente können uns Geschicklichkeiten auch abgewöhnen,
können Fähigkeiten auch verringern, können Organe durch Wegnehmen
der Abung verschlechtern. Dabei kann sich's um Entbehrliches, um Gleich-
gültiges handeln, aber auch um Wichtiges. Wenn der „Wilde" mit einer
Menge von Fähigkeiten uns „über" ist, so sind diese Fähigkeiten
unzweifelhaft besser kultiviert bei ihm als bei uns; sein Auge sieht, sein
Ohr hört schärfer, seine Hand kann manches, was die unsre verlernt hat.
Die Zivilisation gibt Ersatz mit Instrumenten und Einrichtungen — gut,
wir vermissen das hier Verlorene nicht, solange wir in zivilisierter Um-
gebung bleiben. Aber wie steht's mit den geistigen Fähigkeiten? Auch
die können durch Zivilisationsgeschenke verkümmern, wenn wir nicht auf
der Hut sind. Ob die „Wilden" schlechthin „bessere Menschen" sind, wie
Seume meinte, mag sehr fraglich sein, aber wohl noch niemand hat be-
stritten: daß auch die geistigen und seelischen Eigenschaften minder zivili-
sierter Völker mitunter die von höher zivilisierten übertreffen. Lassen wir
das Lthische beiseit, wie steht es beispielsweis mit der bildnerischen und
 
Annotationen