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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Wohin?: Zum Thema: Kultur und Zivilisation
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0018

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dichterischen Phantasie? Äbertrafen uns darin die Griechen oder nicht?
Das jedenfalls ist gewiß: daß keineswegs ein so einsaches Verhältnis be-
steht: je höher die Zivilisation, desto höher die Kultur. Wir müssen unsre
(Ligenschaften Pflegen, dann beherrschen wir mit der Zivilisation uns
und die Welt. Wenn aber unsre Eigenschaften, wenn wir herunterkommen,
dann wird die Zivilisation aus unsrer Dienerin unsre Herrin, und sie
kann uns erniedrigen.

Ia so: sind denn die Zivilisationsmittel überhaupt schon in unserm
Dienst? Zunächst lassen wir ja die Erfindungen zu unsrer Beherrschung
benutzen von denen, in deren Dienste sie stehn. Denn da sind ja alle die
Einrichtungen, die sie zum Privateigentum machen: Urheberrecht, Patent-
schutz, Kapitalbeteiligung, Verwertung. Die Zivilisätion selbst ist ein mil-
lionenhändiger Riese in goldenen Ketten. Und den verwechselt man mit
Kultur!

Also daraus kommt es an, daß die gesunde, starke, entwickelte Mensch-
heitskraft die Mittel, daß die Kultur die Zivilifation benutzt. Was für
Gefahren hier lauern, wir merken's am besten, wenn wir einmal auf ganz
andre Verhältnisse blicken. Die Südseeinsulaner, die wir neulich abbildeten,
zeigten in der von ihnen selbst aus ihrem Wesen entwickelten Wohnung
und Tracht Kultur, im europäischen Schneiderwerk zeigten sie Barbarei,
obgleich diese „Wilden" recht „ungebildete" Leute waren und die Schneider
sehr zivilisierte Europäer. Die höchsten Gaben selbst der echten Kultur
werden sosort zum Tande, wenn sie dem Beschenkten die entsprechen-
den Ligenschaften verschlechtern, die er aus sich selber entwickelt hat. Mit
Kultur kann sich keiner beschenken lassen, Kultur muß erworben, ver-
arbeitet werden — das zeigt ja auch jeder Parvenü. Der Bauer, der in
sein Haus nichts hereinnimmt als was innerlich mit ihm verwachsen
ist, betätigt Kultur, der „Ökonom^, der seine Möbel vom Warenhaus be-
zieht, hat keine. Eigenschaften entwickeln sich nur aus Eigenem stark,
mögen sie sich auch an Fremdem nähren. Nur soweit man's verdauen,
einfleischen, eingeisten kann in das, was man von den Vorfahren ererbt
hat, nur soweit entwickelt man sich innerlich stark. Es gibt keine Kultur
ohne Wurzeln. Wenn aber die Pflege und Lntwicklung der Ligenschaften
letzten Endes eine persönliche Sache ist, so ist die Pflege der Kultur
trotzdem auch Volkssache. Will man Beispiele aus dem Völkerleben,
so denke man an die Veräußerlichung der Antike bei innerlich ihr fremden
Völkern oder an die Verderbung der japanischen Kunst durch die europäische.
Das sind Gegenbeispiele. And wo sind gute? All unsre neuen ernsten
und tiefen Reformbestrebungen bis zum Kampfe gegen den Alkohol hin
gehen auf Pflege von Eigenschaften aus, auf Tüchtigung, und sind
eben deshalb Arbeit um Kultur. Arbeit, die einem Volk die Bedingungen
dafür verbessert, daß der Einzelne seine Eigenschaften verbessern kann.

Die großen Kulturmittelschaffer werden wahrhaftig nicht entwertet da-
durch, daß wir gegen die Verwechslung sprechen, die in ihnen schon
Schöpfer von Kultur sieht. Ein Kulturschöpfer war Goethes alter Faust,
der die Mittel der Zivilisation benutzte, damit aus freiem Grund ein
 
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