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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Kuntze, Friedrich: Dum calculat Deus ...
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0583

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Formel hier soll abgeleitet werden» so mag man auch schreiben „Wissen-
schaft und Seele".

Die alte Klage Pascals „Was wir wissen können, das interessiert uns
nicht, und was uns interessiert, das können wir nicht wissen", wird an
ernsten Feiertagen des Lebens auch in den Seelen lebendig, die lange
auf das Faustische resigniert haben, die geduldig, wie die Steinmetzen
des Mittelalters, in ihrer Sonderwissenschaft Stein für Stein zurichten
— für einen Bau, den ihre Augen nie vollendet erschauen werden. Die
Seele scheint erfrieren zu müssen in dieser Welt der partiellen Disferential-
gleichungen, die sich Naturwissenschaft — exakte Naturwissenschaft —
nennt; sehen wir daher heute einmal zu, ob die Art, darinnen hier die
Lrscheinungen in einen übergreifenden Zusammenhang eingeordnet werden,
die einzig mögliche bleiben muß, oder ob noch andere Arten
gedacht werden können, in denen das aufgehoben bleibt, was uns letztlich
das Leben lebenswert macht.

Dem Philister macht das Sonore in dem Wort „eherne Naturgesetze"
viel Freude, und der metallische Beigeschmack bestimmt ihn, derlei für ein
selbstverständliches und unveräußerliches Besitztum des Menschengeistes zu
halten. Für den Philosophen dagegen sind Selbstverständlichkeit und Nn»
veräußerlichkeit zwei gleichmäßig qualvolle Fragezeichen. Von der Nnver-
äußerlichkeit möchte ich heute nicht reden, — davon war vor einiger Zeit hier
beim Gedenken an Poincars die Frage, wohl aber von der Selbstver-
ständlichkeit. — Die Selbstverständlichkeit bleibt zunächst für den nach-
denkenden Geschichtschreiber — auch dann, wenn alle „Data" her-
beigeschafft sind — ein schwerwiegendes Rätsel, denn es gibt die Frage auf:
„Wie kam in diese Welt der Launen der Gedanke, es könne überhaupt so
etwas geben wie eine einheitliche Vorschrift, solche Launen zu erklären?"
Da gewinnt denn die alte Sage: der Prometheus habe das Feuer vom
Himmel heruntergeholt, Gestalt und Leben, denn in der Tat: der Gesetzes-
begriff kam vom Himmel. —

Verlassen wir die Stadt, deren ganze äußere Erscheinungsform ja schon
durch jenen Begriff in seiner Wirksamkeit umgestaltet worden ist, und gehen
hinaus ins freie Land und sehen, was uns Wind und Scholle sagen^
versuchen wir es mit dem Faust, uns allen Wissensqualmes zu entladen.
Weshalb zeigen die Berge, die da majestätisch aufgerichtet sind ins reine
Blau, gerade diese Gestalt und keine andere; weshalb bietet der Bach,
der sich durchs Felsgeröll drängt — in weißmähnigen Wogen aller unserev
hydrodynamischen Formeln spottend — unserm Blick diese bewegte Ge-
stalt dar, und keine andere; woher des Weges der Wind, der in den Wipfeln
abgrundschauender Föhren sein Lied singt? So haben vor uns Aber-
millionen gefragt, und sollten fragen, denn aus ihnen frug das Tiefste
im Menschen; Gnade aber war es, daß sie einen Weg fanden, auf
dem die Antwort lag. Wie kam das? Das kam weit her, das kam von derr
Sternen — diesen Ausdruck in der buchstäblichsten Bedeutung genommen.
Da waren die Priester der Chaldäer und Agypter, die da nächtens standen
und sahen, daß es in dieser Welt der Launen und der Willkür üoch etwas
Neues gibt, das gewissen Bahnen folgt: die Sterne! Noch unermeßlich
lange hat der Gedankenfortschritt gedauert, den heute nachzudenken uns
so selbstverständlich scheint: daß die Verfassung dieser sternhellen Räume
auch die eigentliche Verfassung der sternenbeschienenen Welt sei!

Die Äberlieferung führt auf Plato den nächsten großen Gedanken-
 
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