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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Nidden, Ezard: Ignorabimus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0026

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vertrauenden Dialektik verflüchtigt sich allzuviel von der Erfahrung. Ich
denke dabei an Arno Holzens Asthetik, welche für meine Auffasfung
ebenfalls etwas Enges, eine gewaltsame Zuspitzung auf ein paar Be-
griffe und Formeln enthält, ohne den Tatfachen überall gerecht zu
werden. Wie sie ein kleiner fesselnder, geistvoller Beitrag zur Künftler-
Ästhetik ist (welche ihrerseits wieder einen Teil einer weiteren Asthetik
bildet), aber mit dem Anfpruch auf Lösung weit mehrschichtiger Probleme
auftritt, so ist das „Problem Erkenntnis" dieses Dramas im Umkreis der
Erkenntnisprobleme Teil des Teils. Weder zeitgeschichtlich noch philo-
sophiegeschichtlich scheint mir dieses Problem von überragender erkenntnis-
theoretischer Bedeutung. Möglich allerdings, daß die Zuspitzung des Er-
kenntnistriebes, wie sie diese Trägödie enthält, aus dramatischen Gründen
notwendig war, daß die Energie der Szenik eben darin gipfelt, alles aus
einen Punkt hin zu richten. Dies würde meines Lrachtens bedeuten,
daß Erkenntnisarbeit und Dichtung sich mehr oder minder ausschließen
oder daß dem Erkenntnisstreben des Dichters, des Künstlers andere Ziele
gesetzt sind als einem Dubois-Reymond oder einem Flammarion und
du Prel.

Indessen — es ist nicht notwendig, dieses Werk erkenntniskritisch zu
betrachten. Ls ist nicht notwendig, mit dem eignen Denken in das
Irrsal dieser Streitgespräche zu folgen und in den blinden Schächten
nach Gold zu suchen. Das sei denen gesagt, welche solche Ausflüge ins
Anbekannte fürchten. Als Dichtung bietet Holzens neues Werk Reich-
tümer genug. Wir gedenken hier vorübergehend, aber mit der aller-
größten Hochschätzung der geistigen Kraft, welche dazu gehörte, einen so
riesenhasten Stosf einer dramatischen Anlage von so durchsichtiger Klar-
heit und Einfachheit einzuordnen. Wir bewundern die sprachliche Ge-
walt, die darüber herrscht, indem sie fast jedem Satz gleichzeitig eine Be-
deutung sür Vorgeschichte und Verlaus des Dramas wie für seinen tieseren
Gehalt verlieh. Mit Verwunderung wird man dabei inne, daß Holz,
dessen Ziel die „Sprache des Lebens" war, hier füns grundverschiedenen
Charakteren eine vielsach überraschend ähnliche Sprache gegeben hat;
doch soll an dieser Stelle das Für und Wider dieses poetischen Tatbestan-

des nicht erörtert werden. Unberührt bleibt ja von alledem die Größe

einer herben und starkfühligen Persönlichkeit, die aus jeder Seite dieses
Werkes, aus so manchem Auftritt mit dem großen, vollen Ton edler

Menschlichkeit und höchster Leidenschaft spricht und wollend-nichtwollend
den Leser in ihren Bann zwingt. Unberührt bleibt davon die Tat-
sache, daß mit diesem Wunderwerk mehr dichterische Probleme zur Dis-
kussion gestellt, mehr aufwühlende Leidenschast flüssig gemacht, ein ge-
wisseres Zeugnis höchsten Künstlerstrebens gegeben ist, als mit den sünfzig
oder sechzig Modewerken, die der öffentlichen Aufmerksamkeit so viel
leichter sich einschmeicheln. Vor einigen Iahren standen im Kunstwart
(XXIV, (7) ein paar Sätze über die Wirkensmöglichkeiten und Zu-
kunsthosfnungen der Holzschen Kunst, deren welthistorische Bedeutung
ihm und seinem Kreise so unantastbar sicher erscheint. Betrachtet man
das Wollen und Wirken der Heutigen, so ist wohl seither noch keine

größere Klarheit darüber eingetreten. Und angesichts der völlig eigenen,
bis zur äußersten Konsequenz betonten und festgehaltenen „Persönlichkeit"
Holzens müssen wir uns wohl noch immer bescheiden mit einem —
Ignoramus. Ezard Nidden
 
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