Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Theaterfragen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0028

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
friedenheit im Personal oder in der Laienkommission, dem Aussichtsrat,
auftaucht. Sobald der Leiter zum „Puffer" degradiert ist, blüht unten
die Beschwerde, oben die Selbstherrlichkeit. Dem Personal kann man's
gewiß nicht übelnehmen, wenn's auch regieren und sich's bequem machen
will,- wohl aber der Behörde, die den Mischcharakter der künstlerischen
Angestellten verkennt und jedes schnelle, dem temperamentvollen Augen-
blicke entschlüpfte Wort des verärgerten Schauspielers mit demselben Stirn-
runzeln aufnimmt wie die aktenmäßig belegte Anklage eines phlegma-
tischen Beamten.

Trotzdem, es gibt gottlob beim Theater nicht nur soziale Mächte; die
künstlerischen sprechen auch mit. Die Alleinherrschast des Schauspielers
wurde in den neunziger Iahren gebrochen. Die Stücke, die den Menschen
zum Teil als ein Erzeugnis der Umgebung zeichneten, mußten dem ein-
zelnen Darsteller das Virtuosenzepter entreißen. Ietzt kam's aus das
Zusammenwirken etwa der Familie an, nicht bloß auf den ungeratenen
Sohn. Und diese Familie brauchte, um sich unaufdringlich vorzustellen,
viele Möbel und Hausgeräte. Die Mutter stand am Herd und kochte
Kasfee, der Vater, der von schwerer Arbeit zurückkehrte, zog die Stiefel
aus und sein Mädel brachte ihm die Pantofseln. Es gab Schemel, Bänke
und bequeme Lehnsessel im gleichen Zimmer, gemachte und ungemachte
Betten, Vogelkäsige und Schmetterlingsammlungen, zerbrochene Spiegel
und schiefe Tische. Wer schleppte das herbei und verteilte es auf den
vieleckigen verhuzelten Raum? Wer wies dann den Schauspielern eine
der zwanzig Sitz- und Liegegelegenheiten an und schob sie von Quadrat-
meter zu Quadratmeter hin und her? Wer bedachte rechtzeitig die Neben-
räume und ihre Insassen, indem er selbst die Wutausbrüche gedämpft
sprechen ließ? Wer führte endlich Sonne und Mond glaubhaft durch
die Fenster und verstärkte oder vernichtete absichtlich die Stimmung der
Redenden? Ein alter Name bekam neuen Inhalt: der Regisseur wurde
wichtigl Nicht der im Sinne Heinrich Laubes, der Talente heranbildete
und sich den Teufel ums Milieu kümmerte, sondern der malerische Helfer
des Dichters, der vom Raume ausging und den Darstellern nur sekun-
dierende Werte zugestand. Fast unbemerkt unterstützte ihn in seiner
Herrschsucht der Rückgang der schauspielerischen Naturelle. Mit ganz
unjugendlicher Zahmheit traten Studenten und Beamte zum Theater über.
Sie waren ganz Nnterordnung, dem Regisseur willkommener Knetstoff.
Aber der lebendigste Regisseur bringt eben doch nicht die Lebenssülle
auf wie zwanzig, dreißig losgelassene Einzeltemperamente. Die Vor-
stellungen des Regietyrannen wurden langweilig. Und nun begann —
Max Reinhardt. Nicht von gestern auf heute ist er plötzlich aus dem
Haupte des Zeus gesprungen. Als wir zusammen unsre ersten Kunst-
sommerfahrten nach Prag, Budapest und Wien machten, dachten wir kaum
über Otto Brahm hinaus. Nur daß uns Brahms Klassiker höchst unvoll-
kommen anmuteten, ja verfehlt. Diese kritische Beobachtung führte später,
nach ziemlich langer Entwicklungszeit zu Reinhardts köstlich srischer „Minna
von Barnhelm", die in ihrer Geschlossenheit der letztjährigen Inszenierung
von Shakesperes „Heinrich IV." am nächsten steht. Der Schauspieler
war wieder in seine Rechte eingesetzt, er durfte neben dem Regisseur
fabulieren und wenn die Einfälle auch einmal ein Saltomortale über den
Kreis hinaus wagten, den der Dichter gezogen, so lachte man eher schul-
jungenhaft verschmitzt, als daß man germanistisch fluchte.
 
Annotationen