Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
DOI Artikel:
Grupe, Margot: Verzierungskunst in der Nadelarbeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0040

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
augenangreifend aus, sondern wohl etwas kahler — vielleicht aber läßt
sie sich zu einigem Fleiß bekehren, wenn sie erst eine andere Betätigung
im Sticken kennt, als die übliche. Denn im Grunde ist es ja die verkehrte
Welt, daß Fleiß und Mühe keine Anerkennung finden sollen.

Solange Fleiß und Mühe in falscher Richtung verschwendet werden,
richten sie je mehr Schaden an, je reger sie sind und je mehr Geschicklichkeit
dabei ist. Sie bringen das Chaos in die Häuslichkeiten: der geradsinnige
Laie ist froh, wenn er seinen alten Schrank glatt mit Slfarbe, grau, weiß,
grün oder blau zustreicht, der ziersüchtige nimmt schon Holzmaserpapier
zu Hilse, der sogenannte künstlerische überzieht ihn mit einem Gerank von
kindskopfgroßen Kleeblüten. Die wieder erwachte Freude an Linfachheit
und Ruhe erscheint ihm nüchtern. Also lehnt man „diese neue Mode" der
Sachlichkeit und Einsachheit ab, statt ihren Gedanken nachzugehn.

In unsrer „stickenden Familie" kauft selbst die modernste Frau als
letzte Neuheit immer wieder den alten Dreh. Es wechselt die Modefarbe
der Stoffe, es kommen und gehen Gewebe und Zutaten, Techniken tauchen
auf und verschwinden und die Verzierung selbst erleidet ewigen Wechsel.
Aber damit ändern sich nur die Nebendinge — die Anschauung, aus
der heraus die Dinge entstehen, diese tzauptsache in der Entwicklung neuer
Werte bleibt angepflöckt auf der kahlgegrasten Stelle — „und rings umher
ist frische grüne Weide".

Hier soll von einer neuen Auffassung der Nadelarbeit die Rede sein,
von höchst einfachen Wegen und Möglichkeiten, von Dingen, auf die
wohl niemand von selbst kommt, die aber so leicht zu begreifen, nachzumachen
und zu erfinden sind, daß einem, der nur erst anfängt, sich damit zu
beschäftigen, die Ideen wie lustige Bäche zufließen. Nnsre Tafeln s und 3
stehen auch sürs ungeübte Auge in auffallendem Gegensatz zu den Bildern
2 und Die Gegenstände der beiden letzteren sind der Durchschnitt dessen,
was wir in den Wohnungen durchaus „kultivierter" Menschen noch heu-
tigestages antrefsen. Es ist ihnen eines Tages als „moderne Richtung"
unterbreitet worden. Nnd doch taugt es nichts, denn bei all diesen
Dingen geht das Gegenständliche der Verzierung über die
Gesamtgestaltung. Ls spricht nicht in erster Linie eine Raum-
einteilung des Ganzen, das heißt ein gutes Verhältnis von verzierter
und unverzierter Fläche, es herrscht nicht das Bestreben, dem Gegenstand
eine seinem Gebrauch entsprechende Erscheinung zu geben (abgesehen von
dem Mangel an Farbengebung und Materialausnützung, der auf den
Abbildungen nicht zum Ausdruck gebracht werden kann) — sondern es
ist ein genrehafter Zug, ein tzerausheben der Verzierung aus dem Ganzen,
das seinen Zweck und eine ihm notwendige Sachlichkeit verwischt. Es
ist nicht vor allem die Absicht zu erkennen, ein brauchbares Kissen in
guter Weise herzustellen. Die „stickende Familie" würde etwa sagen:
„Ls gibt jetzt so nette Bandarbeiten, mit denen man Blumen samos
herausbringt, Margueriten, Sonnenrosen und andre, so etwas will ich
mal für ein Kissen machen." Also nicht um das Kissen an sich, seinen
praktischen Wert und daraus hervorgehende Materialfarben- und Dekora-
tionseigentümlichkeiten ist es zu tun, sondern um ein Blumenbild,
für dessen Entstehen jemand eine bequeme Technik erfunden hat. Aus

* Die Tafeln sind dem Werke „Verzierungsarbeiten" der Verfasserin entnom-
men, das im Albrecht-Dürer-Hause zu Berlin erschienen ist.

25
 
Annotationen