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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0102

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ein sorgsaines, naturverständiges
Abwägen, das nicht jedem Straßen-
techniker gegeben ist. Es müssen
dann andere erfahrene Kräste bei
der Wahl der Baumarten heran-
gezogen werden". Wir unserseits
möchten auch hier raten, die Künst-
ler, in diesem Falle besonders die
Landschaftsmaler, als Be-
rater heranznziehen. Es gibt unter
ihnen ja gerade in unsrer Zeit eine
ganze Anzahl, die nicht nur ein sei-
nes Verständnis für die ästhetischen
Forderungen eines Landschastsbil-
des, sondern darüber hinaus für die
Seele eines Landes haben. Würde
man sich ganz allgemein gewöhnen,
sie bei der Anlage von Landstraßen
zn hören, so könnte manche Bar-
barei vermieden nnd manche Schön-
heit geschasfen werden, ohne daß ein
Psennig mehr ausgegeben würde
oder irgendeine praktische Notwen-
digkeit Schaden litte. Auch sür die
Dürervereine liegen hier Ausgaben.
Wo ihnen selbst die geeigneten
Kräfte zum Berater fehlen, können
sie doch aus solche Ansgaben ausmer-
ken und zwischen den geeigneten Leu-
ten vermitteln.

Die Maschme ueutral

s ist einer der erfreulichsten
Züge am deutschen Proletarier,
daß er an die Technik und ihre
erlösenden Möglichkeiten glaubt.
Sicherlich hängt es damit zusam-
men, daß wir die Wendung zur In-
dustrie ohne ernsten Widerspruch
des Volksempsindens üöerstanden.
Erlebten doch selbst die Englän-
der, dieses „geborene" Industrie-
volk, an der Schwelle der neuen
Zeit in der Chartistenbewegnng hes-
tige Proteste des Proletariats gegen
die Maschine nnd sie haben sich
auch nachher nicht zu dem über-
schwänglichen Glauben an die „Er-
rnngenschasten der Technik und
Wissenschast" durchgesunden, den
der deutsche Arbeiter besitzt. Sie

nahmen das Neue realistisch und
richteten sich mit einer nüchternen
Gewerkschastspolitik darauf ein. Der
Deutsche indes dachte sogleich an
eine radikale Neuordnung in der
Handhabung der technischen Mittel,
indem er die Prinzipien der Ma-
schine aus die ganze Gesellschafts-
ordnung übertrug und das RLder-
werk des Zukunftsstaates erdachte.
Wieviel größer noch ist trotz aller
internationalen Solidarität der psy-
chische Nnterschied zwischen dem
deutschen und r o m a n i s ch e n Pro-
letariat! Es scheint doch, nehmen
wir die Belgier und Norditaliener
aus, als ob das romanische Arbei-
tervolk andauernd dem Rhythmus
und der Disziplin der modernen
Technik widerstrebte. Von den
Spaniern wissen wir es ohne wei-
teres, bei den Franzosen wird es
deutlicher mit der zunehmenden
Kompliziertheit der technischen Ar-
beit. Sie bleiben trotz eines genia-
lischen Ersindertriebs technisch und
industriell stehen. Es fehlt ihnen
vor allem der präzise Gehorsam
der ausführenden und die-
nenden Kräste. Die häufigen
und seltsamen Schicksalssälle bei der
Marine und in den Staatswerkstät-
ten, insbesondere die wiederholten
Attentate auf das Werkzeug und
Material, sind mit politischen Mo-
tiven nur halb erklärt, sie verraten
eine Respektlosigkeit gegenüber den
Stossen der modernen Arbeit,
wie sie eine industriell veranlagte
Rasse nicht haben könnte. Ieden-
salls kennt die Geschichte der deut-
schen Arbeiterkämpfe ernstere Ex-
zesse solcher Art nicht; — dieMa-
schine bleibt bei nns neu-
tral, selbst in Zeiten höchster Er-
bitterung.

Bedenken wir's recht, so ist dies
technische Vertrauen unseres Arbei-
tervolks keineswegs selbstver-
ständlich. Liegt es doch den Emp-
sindungen und Erlebnissen des

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