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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1913)
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Schmidt, Leopold: Giuseppe Verdi
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0146

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der Suezkanaleröffnung bestellt hatte, neben einem zarten lyrischen Drama
eine Fülle von ornamentalem Beiwerk, wie es die Gelegenheit verlangte.
Wie Verdi fich der Doppelaufgabe entledigt, wie er das altägyptifche
Gepränge in Aufzügen, Tänzen und kulturellen Handlungen musikalisch
verwertet hat, ist Die Tat eines Genies; die eigentliche Natur seines Spät-
stiles konnte er jedoch erst enthüllen, als er sich wieder rein Psychologischem
zuwandte. Daß ihn die Liebesgeschichte der dunklen Aida, die von dem
französischen Gelehrten Mariette Bei entworfen, von Camille du Locle
unter seinen Augen in Sant Agata gedichtet und von Ghislanzoni ins
Italienische übertragen wurde, innerlich erfüllte, beweist die zärtliche Sorg-
falt, mit der er sie behandelt, der ideale Schimmer, den er über sie aus-
gebreitet hat. Der national-ägyptische Linschlag verleiht dieser weichen,
schwellenden Musik noch den Reiz des Exotischen.

Schon in den sechziger Iahren hatte die gleichsam improvisierende Schas-
fensart des Meisters sich in ein bedächtigeres Arbeiten umgewandelt. Ie
ernster, tiefer und reicher seine Werke wurden, desto langsamer rangen
sie sich naturgemäß aus seinem Geiste los. In den siebziger Iahren
sehen wir ihn — als ob er sich zu seinen letzten dramatischen Taten sammeln
wollte — einen Abstecher auf andere Gebiete machen. Es entstehen das
wundervolle „Requiem" sür den ihm befreundet gewesenen Dichter Man-
zoni und das Streichquartett in E-moll, die einzige veröffentlichte Kammer-
musik Verdis, die beide zusammen mit den nach dem Tode seiner zweiten
Gattin geschriebenen tzuattri p6Mi Laeri, einen kleinen, aber köst-
lichen Schatz der musikalischen Literatur für sich bilden. Dann solgen
s887 „Otello" und s893 „Falstaff". In ihnen hat das Wesen Verdis
seine höchste Vollendung erreicht, in beiden hat er als Künstler sein „letztes
Wort" gesprochen. Man muß bis aus Palestrina zurückgehen, um auf
ein ähnliches Beispiel von später Entwicklung, von Schaffenskraft und
innerer Erneuerung im Greisenalter zu stoßen. Fast an der Schwelle
des Todes hat Verdi sich noch einmal zu Höchstem aufgerafft, den Mut
und die Fähigkeit zu völlig Neuem gehabt und der Mit- und Nachwelt
frische Impulse gegeben, in seiner körperlichen wie geistigen Nrwüchsig-
keit und Nnverwüstbarkeit ein staunenswertes Phänomen! Will man einen
Nnterschied machen, so muß man dem „Otello" die leidenschaftliche Glut
und den Farbenreichtum seiner Tonsprache, dem „Falstaff" die Feinheit
der Diktion und das Filigranartige der Arbeit, das an den Mailänder
Dom erinnert, als Merkmale zusprechen. Verdis melancholisches Geblüt
wies ihn von Natur auf die Tragik. Auch seinem letzten heiteren Werke
— außer einem mißglückten Iugendversuch („IIn ^iorno äi re§no"), der ein-
zigen komischen Oper, die er geschrieben —, gab er bei aller Ausgelassen-
heit des Humors einen herben Schluß, indem er es als Philosoph in eine
risata kinnl über die Narrheit und Kleinlichkeit der Menschen ausklingen
läßt. Bezeichnenderweise hat er sich hier der strengen Form einer viel-
stimmigen Doppelfuge bedient.

Verdi war als Mensch ein ernster, verschlossener Charakter. Anlage
und Lebenserfahrungen ließen es ihn werden. Doch große Herzensgüte
und echte Bescheidenheit machten ihn zu einer liebenswerten, verehrungs-
würdigen Erscheinung. An dem Künstler Verdi imponiert die ruhige
Gelassenheit, mit der er seines Weges ging, unbekümmert um Gunst
und Ungunst und um das, was die andern taten. Wohl ließ er die Zeit-
ereignisse und, wo sie ihm Eindruck machte, auch die Kunst der Zeit-
 
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