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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Landsberg, Julius Ferdinand: Die völkische Bedeutung der sozialdemokratischen Ideale
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0257

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Idealen, von Dingen, die nach nnserer Meinung allen Menschen als
schön gelten müssen. Wir sehen krassen Materialismus und erschütternde
Gefühlsroh'eit; erschütternde, denn sie verdient eher unser Mitleid als
unsern Haß.

And doch konnte Lassalle, einer der ersten Führer der Sozial-
demokraten, am Schlusse seiner Schrift „Herr Bastiat Schulze" sagen:
„Rettet den deutschen Geist vom geistigen Untergange — rettet —
rettet zugleich die Nation vor Zerstückelung!" And doch konnte ein anderer
Führer, Auer, M2 in München etwa folgendes sagen: „Wenn Deutsch-
land einen echten Verteidigungskrieg zu kämpfen hat, werden wir nach
Krästen zu seinem Siege beitragen. Denn es ist ja das Land, das wir
zum schönsten der Erde machen wollen.« Welche Gegensätze, diese durch-
aus wahren Hochstimmungen und die erwähnten, öde und Niedrigkeit
ausstrahlenden Tiefstimmungen voller Haß und Hohn! Sind beide im
gleichen Herzen vorhanden, als Nachbarn oder Wechselempfindungen mög-
lich? Oder sind da verschiedenartige Menschengruppen, zusammengehalten
nur durch den gemeinsamen Kampf, in eine Schlachtreihe gedrängt: der
hochdenkende Held und der kleinliche, tückische Hasser, „der keines Menschen
Freund ist" ? Von beiden Fragen ist ein Stücklein zu bejahen. Die
zwei Menschenarten stehen nebeneinander in jener Schlachtreihe. Aber
auch in dem gleichen Herzen wohnt Hohn und Ode neben dem Edelsinn.
Wie überall, so auch bei diesen Menschen. Der große tzaß und die
große Liebe, sie wohnen beieinander, sie wechseln in der tzerrschaft, sie
bedingen einander. Iawohl: der große Haß bedingt die große Liebe. And
in welchem Sinne bedingt sich hier beides? Nun gleich die Antwort:
Man versetze sich in den Kreis und die Zeit einer tiefwurzelnden reli-
giösen Begeisterung. Die äußere Wohlsahrt sei gering. Die Sicherheit
aller Güter, auch des Lebens, sei gering. Draußen stürzen Reiche, solche, die
sich leicht und solche, die sich mühsam ausbauten. Schwere Naturerscheinungen
katastrophaler Art treten hinzu. Im engeren Kreise Krankheit, Kleinheit,
Zank und Not. Die Nichtigkeit allen irdischen Gewinnes liegt auf der
Hand. Alles Ringen ist umsonst. Wie von selbst wenden sich dann alle
Blicke von der hosfnungsarmen Lrde, von der greifbaren Welt, ab zu der
jenseitigen. Mit flammender Hossnung und Liebe werden die übersinn-
lichen Güter ergrisfen, und über den Iammer breitet sich für den Gläu-
bigen, fast greisbar nahe, das ersehnte, nie geschaute Land, das Gottesland.
— Wenn sich dann die Dinge des täglichen Lebens wieder bessern, wenn
das Ringen um diesseitige Güter weniger erfolglos erscheint und das
Behagen an irdischer Schönheit in alle Herzen dringen möchte, dann
fürchten manche besonders eisrige Fromme, das Begehren nach den Gütern
dieser Welt könnte das religiöse Sehnen übertäuben. Deshalb be-
tonen sie nun erst recht die in der Notzeit erworbene Stimmung: Staub
sind alle Erdengrößen, hier ist nicht die Heimat, nur Gast bist du in dem
Lande der Sünde und Vergänglichkeit, halte dich bereit für die ewige
Heimat, für deine Bestimmung.

Wie dieser Fromme nach dem Ienseits, so schaut der orthodoxe Marxist
nach dem Idealstaate, von dem er hofft, daß er ihn noch erlebt. „Mit
rasender Geschwindigkeit muß das katastrophale Ende des Klassenstaates
kommen: die Mittelstände schwinden, die Masse wird immer ärmer, prole-
tarischer, das Kapital sammelt sich in immer weniger tzänden, kolossal
sich häusend, immer gewalttätiger alles niederwalzend, was eben noch

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