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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0300

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für ein bißchen verrückt haben wir
ihn schon gehalten, aber zum ehren-
geachteten Original ernennen wir ihn
doch erst im Tode. Wobei wir
natürlich nicht verfehlen, in der ver-
söhnlich anerkennenden Nachrede zu
betonen: es gebe ja natürlich eine
ganze Menge spinöser Leute um uns
herum, aber zum Range eines Ori-
ginals, wohl des „letzten" Originals
verdiene doch nur der Verblichene
befördert zu werden.

Ich behaupte nun steif und sest,
mit einigem guten Willen und dem
nötigen Scharfblick ließe sich auch
heute noch, trotz der schlechten Zei-
ten, ein vollkommen ausreichendes
Maß lebendiger Originalität unter
den Zeitgenossen herausschöpsen;
„abschöpsen" von mir aus, gleichwie
die Fettaugen von der dünnen
Suppe. Wenn ich zum Beweise
dessen wiederum ein verstorbe-
nes Original zitiere, so sollte mir
das hoch angerechnet werden als ein
Beispiel edler Bescheidenheit, die
nicht scharssichtiger sein will als die
meisten von uns Menschenkennern.

Mein Original also, Herr Lud-
wig Kapsinger, war ein pensionier-
ter Gerichtssekretär in Prien, einer
kleinen bayrischen Stadt. Er hin-
terließ weder Frau noch Kinder, son-
dern — Bäume und Büsche, wun-
derschön verwilderte Grabenränder,
Bachuser und überwachsene Kies-
gruben. So reichlich dreißig Stück ver-
streuter Parzellen insgesamt. Lr hatte
sie nach und nach auf seinen Streif-
zügen über Land kennen und lieben
gelernt. Seine Lieblingsbäume taufte
er mit tiefsinnigen und wohlklingen-
den griechischen Namen. Bei Nacht
und Nebel wanderte er zu denen, die
am weitesten entsernt waren. And
wenn eine schöne Baumgruppe auf
der Anhöhe, ein Stückchen idylli-
sches Userland oder dergleichen, was
doch eigentlich „keinen rechtenWert"
hat, vom Besitzer in seinem Nr-
zustande bedroht war, so erschien der

Herr Sekretär alsbald in seinem
etwas verwilderten Aufzuge und
fragte, was der Fleck kosten solle.
Die Bauern lachten innerlich über
den „spinneten Tropf", aber sein
gutes Geld nahmen sie ernsthaft in
Zahlung.

Die Lrben des Herrn Sekretärs
freilich waren schwerlich erbaut von
dem Nachlaß, denn was sollten sie
mit dreißig verstreuten Parzellen
anfangen? Sie verkauften schleu-
nigst, was irgendwie zu verkausen
war. Nnd nun wäre es hübsch ge-
wesen, wenn sich ein normaler Mit-
mensch und Natursreund aus der
Gegend gefunden hätte, der mit dem
Aufwande von ein paar tausend
Mark die Originalkultur des Ver-
storbenen in Bausch und Bogen
übernommen und fortgesetzt haben
würde. Der fand sich leider nicht,
und auch die verbündeten Verschö-
nerungsvereine hatten dringendere
Ausgaben. Doch gab es immerhin
den einen oder anderen Liebhaber
für einzelne dieser Reservate;
Leute also, die der wunderliche
kleine Pensionist mit seiner Natur-
sucht angesteckt haben muß. Wenn
sie auch noch keine Originale sind
wie er, so sind sie doch auf dem
Wege dazu.

Warum ich das hier erzähle?
Weil es mir billig scheint, solch ein
vergessenes Original wie diesen
Sekretarius zu gebührenden Lhren
zu bringen. Denn er hat Heimat -
schutz getrieben, bevor es den so
genannten gab. Er hat sich selber
bei Lebzeiten seine Denkmäler ge-
setzt, mitten in die Landschaft hin-
ein, wo sie ihm am besten gesiel.
Ein Narr macht viele Narren, sagt
das Sprichwort. Originalität steckt
nicht so leicht an, sie ist auch schwe-
rer zu erlernen als sich mancher
unsrer originellen Köpfe träumen
läßt. Aber wer von Hause aus
schon so ein bißchen absonderlich
ist, der sollte Mut zu sich selber

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