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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0304

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das gleichgültig sein, aber wenn
Volksstimmungen wichtig sind,
geht's um Einsatz. Line Politisie-
rung der Gesellschaft würde sehr
etwas anderes fordern, als ein so-
genanntes Politisieren solcher Art.
Sie würde fordern, daß im Volk die
Zurückhaltung und Selbstbescheidung
siegte: hier laß ich die reden und han-
deln, von denen ich annehmen muß,
daß sie Sachverständige sind. Aber:
ich wirke daraus hin, daß sie mit
ihrer Sachkenntnis womöglich
in meinem Sinne handeln. Die
verschiedenen Gruppen der Meinun-
gen, der Interessen, der Absichten
machen sich geltend, indem sie ihre
Mitberücksichtigung durch-
setzen. Das ist es, worauf das
Politischmachen der Gesellschaft aus-
gehen muß, und dazu gehört, daß sie
sich das Kannegießen, wenigstens in
ihren sogenannten oberen Kreisen,
einigermaßen abgewöhnt. A

Aufgaben desJugendsPorts

er bekannte Heidelberger Chirurg
Vinzenz Lzerny äußert in
der Zeitschrist des Iungdeutschland-
Bundes seine Anschauung über den
Sport unsrer Iugend. Er freut sich
über die Fortschritte gegen einst, aber
wir seien doch noch weit vom Ziel.
Es müsse „noch viel geschehen, um
das übermäßig lange Sitzen und
Stubenhocken in unseren Schulen
durch eine genügende Pflege der
Körperkräste auszugleichen. Schon
die längeren Pausen zwischen den
Stunden sollten durch einige Frei-
übungen, welche die durch das Sitzen
verkrümmte Wirbelsäule und die
schlasse Muskulatur wieder in die
richtige Form und Tätigkeit bringen,
zur VerhüLung der so häusigen Ver-
krümmungen ausgenützt werden."
„Bei allen körperlichen Äbungen sollte
mehr Gewicht auf geschmeidige und
anmutige Ausführung als
auf rohe Kraft gelegt werden. Ich
würde deshalb das Tennis dem Fuß-

ball, das Rapier dem Schläger vor-
ziehen."

Weiter wünscht Czerny, im
Gegensatz zu den üblichen zwangs-
weisen Klassenausflügen, eine För-
derung „wissenschastlicher" Schulaus-
flüge, gewissermaßen eine Verlegung
des Unterrichts in die freie Natur.
Der Physiklehrer soll praktisch
in die barometrischen und trigono-
metrischen Höhenbestimmungen ein-
führen; der Naturwissenschafter Bo-
tanik und Zoologie draußen be-
treiben. „Der Lehrer der Mathema-
tik müßte den Schülern zeigen, daß
die Geometrie nicht bloß Geistes-
gymnastik an der Tafel ist, sondern
daß sie aus der praktisch wichtigen
Feldmeßkunst hervorgegangen ist."
Geographie, Geschichte, Zeichnen, all
das findet in der Landschaft die
günstigsten Anknüpsungspunkte. Und
selbst die alte Philologie —

Aber die mag Czerny nicht. „Es
wird unmöglich sein, sür die körper-
liche Ausbildung unserer Iugend
genügend zu sorgen, wenn die klassi-
schen Philologen nicht wesentlich von
ihren, mit den praktischen Bedürf-
nissen des heutigen Lebens unver-
einbaren Ansorderungen der soge-
nannten klassischen Bildung herun-
tergehen." Wirklich? Hockt man denn
an den Anstalten ohne Griechisch und
Latein weniger im Klassenzim-
mer? Rnd wenn die argbedrängten
Altphilologen nun in der Tat eine
Anzahl Stunden ausgäben, ständen
nicht alsbald schon die Biologen und
Staatswissenschaster und wer weiß
was sonst bereit, den sreigewordnen
jugendlichen Nacken in ein anderes
Ioch zu spannen? Man holt sich
bei der Biologie ebensogut schlasse
Muskulatur und Verkrümmungen
wie bei Virgil oder Sophokles. Aber
man könnte sehr wohl den Homer
in die Tasche stecken und draußen
in der Natur vom Zorn des Achill
lesen. Wie die alten Verse im Walde
klingen! Nicht der Stofs macht die
 
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