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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 3 (1. Novemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0306

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Neklamemarken als Er>
zieher?

aß unsre Kinder sammeln, ist
ganz in der Ordnung; den Wert
des Sammelns, wenn's ein ver-
nünstiges Sammeln ist, den kennen
wir alle. Also nicht im „Daß"
liegt das Bedenkliche, sondern wie-
der einmal im „W a s" und „W i e".

Hinsichtlich des „Was^ wird die
Hauptsorderung wohl am besten ne-
gativ gesaßt: die Kinder sollen nichts
sammeln, wodurch sie Schaden in der
Natur anrichten und — eben da-
durch — ihr sittliches Empfinden
gegen die belebte Natur abstump-
fen. So angesehn ist das Sammeln
von Pslanzen und erst recht das von
Schmetterlingen, Käfern und Vogel-
eiern weit bedenklicher als etwa die
Sammelei von noch so nichtssagen-
den Ansichtskarten oder Stamm-
buchblümchen. Anderseits wird eine
Stein- oder Muschelsammlung oder
auch eine Sammlung von Flech-
ten der Natur gegenüber meist
harmlos sein. Fürs Kind aber ist
sie entschieden wertvoller, als die um-
fangreichste Reklamemarken-Samm-
lung. Denn: was das Kind in der
Natur des Aufhebens und Sam-
melns wert erachtet, wird nie
Schund sein, unter dem aber, was
unsre Kinder jetzt an Reklamemar-
ken heimschleppen, ist wenig, was
nicht Schund wäre. Wir bekla-
gen's, daß unsre Briefmarken so
häßlich sind. Aber unsre Briefmar-
ken sind in all ihrer Minderwertig-
keit immer noch besser als die mei-
sten jener Marken, die unsern Kin-
dern jetzt überall angeboten wer-
den. Nnd wie leicht gerade der
kindliche Geschmack mit suggestiver
Macht nach bestimmter Richtung ge-
drängt wird, weiß jeder Zeichen-
lehrer, der eine Klasse auffordert,
etwa einen Neujahrwunschbogen zu
schmücken. In neunzig von hundert
Fällen wird er die platten Motive

der Dutzendpostkarte: Schwein, Klee-
blatt, Glocke usw., oder die bekann-
ten „wunderbaren" Landschaften zu
sehn bekommen. Zu der Geschmack-
verderberei durch Ansichtskarte und
Kinoreklamebild gesellt sich nun die
der Reklamemarke.

Zwar: nicht alle sind schlecht.
Am besten sind noch die Verkleine-
rungen der Plakate mancher Fir-
men. Da sind sogar einzelne in
Farben und Formen ganz gute dar-
unter. Schlimmer und gelegentlich
viel schlimmer wird es, wenn die
Original-Reklametafeln und -pla-
kate von „Künstlern^ dritten, vier-
ten oder zehnten Ranges entworfen
wurden. Was kommt da bei der
Verkleinerung und bei dem meist
miserablen Drucke heraus! Das
Schlimmste äber sind jene „Serien",
die sich scheinbar in den Dienst der
Belehrung und — Bjä! — in den
Dienst des Patriotismus stellen.
Line Reihe Heidebilder und eine
Folge Schlachtenszenen sind bezeich-
nende Beispiele. Iene von einer
Verschwommenheit und Süßlichkeit,
die ihre Parallele in den Pensio-
natsgeschichten und Töchteralbums
unsrer Backfische findet. Die bespot-
teten Neuruppiner Bilderbogen sind
in ihrer Nnbeholfenheit in Zeichnung
und Farbengebung und in all ihrer
technischen Roheit weit harmloser als
jene, zumal sie von unsern Kindern
in ihrer Mangelhaftigkeit erkannt
werden, während die in allen Far-
ben schimmernden Heidebilder den
Kindern Kunstwerke scheinen. Nnd
was die süßen Landschaften für die
Mädchen, das sind die Schlachten-
bilder im Format von etwa 5:7 Zen-
timetern für die Iungen.

Es ist beinah ein Trost, daß
die meisten Kinder diese Machwerke
nicht genau ansehen. Sie sind ein-
zig von dem Gedanken beherrscht:
möglichstviele zusammenzubrin-
gen. Ein Kind meiner Bekanntschaft
hat in wenig Tagen an die 500

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