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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Ullmann, Hermann: Vom Deutschtum in Österreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0605

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Die einzigen, auch das ward schon erwähnt, die bis jetzt den Willen zum
Staate unter allen Umständen bewahrt haben, sind die Deutschen.

Auf diesen Staatswillen der Deutschen baut denn auch jede neue
Regierung, dieser Posten ist seit Iahrzehnten stillschweigend in dem
Soll und Haben jeder österreichischen Regierung obenan gebucht gewesen.
Dieses Kapital hat dann auch wahrlich lange genug vorgehalten, wenn man
bedenkt, wie mit ihm gewirtschaftet worden ist. Man war seiner so sicher,
daß man gar nicht daran dachte, es zu stärken oder auch nur zu erhalten.
Der Staat, der seine Fürsorge bis auf Galizien erstreckte, ließ es ruhig
geschehen, daß seine Kernkraft, die der Deutschen, immer mehr geschwächt
wurde. Der Bezirk Gablonz in Deutschböhmen liefert ungefähr so viel
Steuern wie ganz Dalmatien, und Tschechischböhmen hat unendlich viel
Nutzen von deutschen wirtschaftlichen Leistungen gezogen. Äber der wirt-
schaftlichen und politischen Arbeit für das Staatsganze versäumten die Deut-
schen in entscheidenden Zeiten die Fürsorge für ihr Volkstum. Der Staat
aber übersah die Gefahren, die ihm mit dem Wachsen der slawischen Ein-
flüsse drohten, und erschwerte den Deutschen unendlich die Selbsthilse, die
sie, als es fast zu spät war, anstrebten. Ietzt hat sich das Kräfteverhältnis
so gestaltet, daß die Deutschen zu schwach werden, innerlich und politisch,
um den Vorteil des Staates allein zu wahren. Die letzten Ereignisse
im Reichsrat, der bisher vergebliche Kampf des deutschen National-
verbandes um den „kleinen Finanzplan" und die „Dienstpragmatik" haben
das allzu deutlich gezeigt. Die Deutschösterreicher sind aus
eigener Kraft den ungeheuren Aufgaben, diedemDeutsch-
tum in Ssterreich, als dem Vorland des slawischen Ostens
gestellt sind, nicht mehr gewachsen. Das kann nur leugnen,
wer diese Aufgaben mit der Erhaltung des „Besitzstandes" erschöpft sieht
und nicht versteht, daß kein Volk ohne Kolonisationswillen gedeihen kann.

So muß also immerhin, da keine eigenen inneren Kräfte des Staates
mehr eine sichere Gewähr für eine Erneuerung bieten, mit der Möglich-
keit gerechnet werden, daß äußere Einflüsse die Neugestaltung mitbesorgen
müssen. Keine vorschauende europäische Politik dürfte jedenfalls diese
Möglichkeit ganz außer acht lassen — wenn sie sie auch nicht wünschen
mag oder kann.

Die nächsten Entscheidungen werden ja freilich bei der österreichischen
Regierung liegen. tzier wurde schon kürzlich (Kw. XXVII, () daraus hinge-
wiesen, daß die Regierung jetzt zum erstenmal dem nationalen Wett-
bewerb als Gesamterscheinung von Angesicht zu Angesicht unmittelbar ver-
antwortlich gegenübersteht. Lndlich kann eine authentisch sichere Ent-
scheidung darüber fallen, ob der Staat mit den Deutschen oder gegen sie
regiert werden soll. Das Schicksal der Monarchie entscheidet sich mit
dieser Frage. Alle Anzeichen deuten vorläufig darauf hin, daß die gegen-
wärtige Regierung zu schwach für die ungeheure Verantwortung ist und
die Frage nicht beantworten, sondern zu umgehen versuchen wird. Wie
lange die Verhältnisse dieses Ausweichen noch gestatten werden, das hängt
natürlich von unvorhersehbaren Umständen ab. Aber eines ist sicher: je
länger sich die Regierungen jenen entscheidenden Problemen, die sie jahr-
zehntelang zum Schaden des Staates verleugnet haben, entziehen, desto
näher gerät der Staat an jene äußerste Gefahr, die im Hintergrunde aller
Verfassungsverletzungen der letzten Zeit droht: daß er endgültig die Fähig-
keit verliert, sich aus eigener Kraft zu erneuern. Hermann Ällmann

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