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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0628

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Sohn, im wesentlichen, um die Herr-
schaft ihrer Ahnengötter zu erhalten,
das blutige Geschehen klingt in ein
hartes Lied der Erinnye würdig aus,
die Verse haben den volleren Ton
der Gedrängtheit, die Erotik ent--
behrt des leidigen Zuges zur Selbst-
bespiegelung nnd Selbstdarlebung.
Aber wenn Ludwig mit gewissen
Formen und ordnenden Kunstmitteln
dem Lindruck näher kommt, den die
Klarheit ünd Schönheit der Antike
aus uns von je hervorbrachte, so ge-
bricht es ihm anderseits an der Ge-
walt des Rnmittelbaren; ein wenig
kühl und blaß steht das Werk da,
und die eigentlichen „Urweltler"
dürften seinem Klassizismus sich ser-
ner fühlen als sie ihm tatsächlich
stehen. Ludwigs Ballett „Ariadne
auf Naxos" — eine der vielen
„Ariadnen", welche die letzten Iahre
gebracht haben — hat die Weise des
Singspiels. Es wäre eine reizvolle
Aufgabe, dies sehr seinsinnige Werk
zu vertonen, dem alle orphische Tiefe
abgeht, das aber an Stileinheit und
Stilreinheit die meisten Balletts
übertrisft. Die gleiche Leichtigkeit
und Formengrazie im Tonwerk vor-
ausgesetzt, die das Dichtwerk aus-
zeichnet, hätten wir hiermit ein wirk-
lich entzückendes Spiel für leichte
Operntage gewonnen.

Nicht mehr als eine Szene ist
K. L. Mayers „Raub der Europa".
Auch dies Werk lebt von den lichten
alten Vorstellungen der keuschen
Königstochter, die am Strande
schläft, in ihrem Traum das Erlebnis
„Mann" vorwegnimmt, von Zephyr
gekost und von Eos geweckt wird, bis
die Gespielinnen kommen und end-
lich die irren Träume in der Entfüh-
rung durch den Stier sich unerwartet
verwirklichen. Und die Lebenskraft
der alten „Stofse" ist so unerschöpf-
lich, daß sie in der harmlosen Vers-
gestalt, der schlichten, ungekünstelten
Wiedergabe uns lesenswert, be-
reichernd dünken, mögen wir uns

noch so oft klarmachen, daß dich-
terisches Neuschöpfen die Dinge
anders ersaßt.

Heinrich Schnabel dürfte die
Fabel seiner einaktigen Tragödie
„Die Wiederkehr« einer nordischen
Saga oder mindestens dem Vorstel-
lungkreis dieser Zeit und Landschaft
entnommen haben. Die Kraft, mit
der er wahrhaft große, tief und lei-
denschaftlich erlebte Konflikte in
wenigen Austritten zusammenrafft
und zum Austrag bringt, scheint mir
nicht gewöhnlich. Etwas von dem
Eisenklang der unbeugsamen Kraft-
naturen des Nordens ist darin ge-
fangen und geschickt in Gestalt und
tzandlung umgesetzt. Es möchte
sich — auch für die Schauspieler —
wohl lohnen, den erschütternden Vor-
gängen einmal Bühnenwirklichkeit
zu geben. Nicht völlig eingeschmol-
zen aber scheint mir das Innerliche
in das Sprachliche. Wie so Viele
scheitert sür mein Gefühl Schnabel
am freien Rhythmus. Ich greife die
Zeilen heraus:

„Versöhnung begehre ich. Mit ihrem
Willen nur

Soll solgen mir der Sohn. Sei
schwer ihr Groll: wohl,

Ich hab's nicht anders erhofft und
durft es anders nicht."

Die ernste Absicht, phrasenlos, kräf-
tig und eine Tonlage über Alltag-
sätzen zu schreiben, ist darin gewiß
unverkennbar; aber die innere Not-
wendigkeit des Wortverlaufs, die
Ausdruckkraft der sprachlichen Zeit-
teilung kann man so wie es Schnabel
versucht, vielleicht ein paar Zeilen,
gewiß im lyrischen Gedicht, fest-
halten, sür die wechselnden Aufgaben
der dramatischen Rede scheint sie mir
nicht durchweg tragfähig.

Die Schwierigkeiten der sprach-
lichen Gestaltung des Primitiven hat
einer gefühlt, den heute Viele mit
Hoffnung und Manche mit höchstem
Preis nennen: Paul Claudel.
Seine „Verkündigung" ist im Kunst-

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