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Kunstwart und Kulturwart — 27,1.1913

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1913)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14287#0649

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teristischen Fassaden und Bauweise
auszeichneten".

Wie oft ist in architektonischen
Fragen auf den Geschmack des Kai-
sers Rücksicht genommen worden, wo
dieser sich von einem ernst ästheti--
schen Standpunkte aus leider keines-
wegs verteidigen ließ. Hier hat der
Kaiser aber einmal eine Ansicht aus-
gesprochen, der man rückhaltlos bei-
stimmen und der man praktische Be-
achtung wünschen kann. Wenn wir
in der letzten Zeit im Städtebau auch
in künstlerischer Hinsicht ein wenig
vorwärts gekommen sind, so läßt sich,
gerade was die Anlage der Plätze
betrifft, doch noch sehr viel aussetzen.
Zwar haben wir gelernt, sie garten-
künstlerisch und sozusagen in Hinsicht
der Innenarchitektur zu gestalten,
aber eigentlich städtebaukünstlerisch
sind die meisten doch recht formlose
Gebilde geblieben. Die strenge archi-
tektonische Geschlossenheit, die neben-
bei auch der sinngemäßen Aufstellung
von Denkmälern die einzige Möglich-
keit bietet, ist für die Wirkung als
Ruhe im Städtebild ganz unbedingt
nötig, soweit es sich um einen wirk-
lichen Platz, nicht um eine zu Ver-
kehrszwecken nötige platzartige bloße
Erweiterung handelt. Und in der
Tat kann man in den alten französi-
schen Städten, zum Beispiel Nord-
frankreichs, sehr gute Porbilder dasür
finden, denn die Gotik, die dort die
schönen Kathedralen baute, verstand
sich auch auf solche Platzgestaltung.

E. V.

Was geht, was bleibt

^>ie kunstbeflissenen Bürger von
^Neuschilda hatten einmal etwas
von„VerschandelungdesStadtbildes^
gehört. Als sie nämlich anfingen,
ihre altehrwürdigen Mauern und
stillen gemütlichen Gartenzäune mit
großen Reklameschildern zu schmük-
ken, waren sie darob verspottet wor-
den. Das hatten sie sich gemerkt. —
Nach Iahr und Tag zog nun ein

großer Zirkus in ihre Stadt, die
er, sozusagen, auf den Kopf stellte.
In allen Stadtteilen wurden hohe
Bretterwände errichtet mit riesigen
bunten Bildern drauf. Aberall, selbfl
aus den sonst nur mit sehr prosai-
schen Dingen angefüllten Schaufen-
stern tauchten staunenerregendeKünst-
ler, unerhört seltene Tiere, gefähr-
lich wilde Reitertrupps und phan-
tastische Clownsgestalten auf, gerade
als ob die ganze Stadt mit einem
Male verzaubert wäre. Wie mit
Zaubergewalt faßte es natürlich vor
allem die liebe Iugend, die spielte,
lebte und webte ganz „drin". Auch
manchen Alten zog's lustig aus dem
Gleichtakt seines Berufslebens. Aber
nunmehr fiel den kunstbeslissenen
Bürgern von Neuschilda plötzlich
etwas ein. Sie erhoben sich mit
Würde und protestierten gegen diese
„Verschandelung des Stadtbildes"
durch die Zirkusreklame. —

Der Zirkus ist wieder weg, mit ihm
alle Brettergerüste und Reklamebil-
der. DieStadt sieht wieder wie alltags
aus. „Zog da ein bunter Schmet-
terling, tsching, tsching, bum! um die
Ecke— Die protestierenden Bürger
von Neuschilda aber stehen noch
immer in monumentaler Haltung.
Sie wundern sich nicht darüber, daß
ganze Giebelsronten ihrer Häuser
aussehen wie Seiten aus der Buch-
stabierfibel einer alten Klippschule,
daß ihre Straßenbahnwagen, mit
grellen Plakaten beklebt, wie schrei-
ende Gassenjungen umherlaufen, daß
ihre Kinos mit den greulichsten Aus-
hängebildern die Iugend brutal ver-
gewaltigen, sie wundern sich nicht
über all das, was ihnen geblieben
ist und was sie unangetastet blei-
ben lassen. Sondern sie ent-
rüsten sich weiter über das, was ein
paar Tage lang lustig war, und sie
wundern sich darüber, daß einzelne
sie wegen der neuerlichen Betätigung
ihres Kunstsinnes wiederum aus-
lachen. Keiner kommt darauf, daß

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