Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

DOI issue:
Heft 6 (Märzheft 1922)
DOI article:
Troeltsch, Ernst: See- und Landmächte: Berliner Brief
DOI article:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0422

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
hindeuten, die im Endergebnis natnrlich auch für uns kein Vorteil sind,
die aber die Seemächte vor allem bedrohen und die Welt sehr verändern
können.

Berlin, sO. Februar B22 Ernst Troeltsch

Vom Heute fürs Morgen

Helft den Altenl

ie Reichsgewerkschaft von Hauptver-
bänden der freien Wohlfahrtspflege
will eine V o l k s s a m m l n n g für das
notleidende Alter cinleiten, die „Alters-
hilfe des deutschen Volkes" genannt
werden soll. Nnn das beschlossen, ist
nicht mehr die Zeit zu Z'weifeln, ob es
genügend helfen wird, sondern Aufgabe
ift und Volks-^EHrensache, daß die
Sammlung hoch gedeihe, recht hoch.

Eine Ehrensache, deuu das Verhal-
teu unsrer Parlamente gcgen unsre
Alten jetzt, der Parlamente, von denen
doch die Regierungen abhängen, ist eher
eine Schande für unser Volk. Wer ge-
altert den Daseinskampf heute nicht
mehr führcn kann, aber keine Rechtc
auf Beamten-Pensionen oder auf Nen-
ten von einer Ziffernhöhe hat, wie sie
vor der Zeit des Papier-Auchgeldes
nur den Millionären crreichbar waren,
den läßt man darben, wenn man ihn
nicht verhungern läßt. „Die Alten"
treten ja nicht in Maffen auf, deren
Stimmen bei den Wahleu gefährlich
werden könnten, und wer etwa von Ver-
pflichtung, von Dankbarkcit gegen das
Alter reden wollte.würde heute inVolks-
versammlungen wahrscheinlich ausge-
lacht. Vielleicht, daß sich hier die übelste
Eigenschaft des neuen Herdengeistes
zeigt, der den alten abgelöst hat und
nun als Folgekrankheit der bösen Iahre
gleichmäßig bei allen Parteien dic Kul-
tur sabotiert. „Der Abend ist das Beste"
— wird unser Volk diesen heute so
paradox kliugenden Satz des alten Rei-
mes noch einmal wieder begreifen kön-
nen? Werden unsre jungen Leute wie-
der gcscheit genug werden, um im „Se-
nat" ihres Volkcs die Ausgelesenheit
der Erfahrungen, die Gesichtetheit der
Gedanken, die Vefreitheit von Leiden-
schaften zu pflcgen und zu nützen? Und
vielleicht gar begreifen, daß man diesc
Schätze des Alters und ihre Trägcr und
Spender ehren, ja lieben kann, und daß

erst dieses die reichste „Ausnutzung" der
Alters-Schätze verbürgt?

Wir haben als eine gar nicht über-
wertbarc Aufgabe die bezeichnet, daß
man nberall da Vorrechte gebe, wo
es echte Volksbildung zu er-
leichtern gilt, wovon bis jetzt (etwa bei
Steuerfragcu) kaum noch die Rede ist.
So gewiß sich Volksbildung nicht auf
Kenntnisse beschränkt, so gewiß gehört
das Verständnis für Alters-Ehrung und
die Ausnutzung dcr Alters-Werte zur
Volksbildung. Und zwar nicht
etwa nur sozusageu peripherisch, son-
dern zentral. Was kann geschehen, daß
unser Volk wieder die Wichtigkeit und
den Wert seiner alten Leute begreist,
welche ja doch den Zusammenhang der
Entwicklung gewährleisten? Eine spätere
Schicht deutscher Menschen könnte für
das Fühlen der Hcutigen gegcnüber den
Alten nur ein „Pfui Teufel!" haben,
wenu sie diese sozialpsychologischen Er-
scheinungen nicht als Krankheitscrschei-
nungen begriffe. A

Die Romantik als Heilmittel

ir könncn uns von dem unvor-
gesehcnen Schlage noch nicht cr-
holen. Die Zeit ist noch zu kurz. Zwar
haben wir unsere „Vergnügen", aber
wir tun sie, die uns die Toren vor-
werfen, mit der Verläßlichkeit eines
Maschinismus ab. Die Theater sind
voll, abcr die in ihnen sihenden Men-
schen erfüllt zn wenig. Man trinkt
viel Sekt, aber man trinkt ihn so, als
ob man kontraktlich dazn perpflichtck
wäre. In dcn vielen Tanzlokalen dreht
sich die Iugend mit einem Lrnst in
den Gesichtern, als würde ein Pensum
überhört. Nur wcnn es uns gelingt,
ein in Llend und Verkennung freudi-
ges Volk zu werden, werden wir Kraft
zur Zukunft haben.

Wir sind auf falschem Wege. Nicht
das Tanzen wird uus wieder zu fröh-
lichcn Menschen machen, und kein noch

350
 
Annotationen