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Münchner kunsttechnische Blätter — 9.1912/​1913

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Nr. 1
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Wedepohl, Theodor: Die Perspektive in der Bildnismalerei, [1]
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Nr. i.

Münchner kunsttechnische Blätter.

3

Auge und dem Darstellungsobjekt denken, parallel
tauft, in schräger dagegen (oder Uebereckstellung),
wenn keine der wagerechten Kanten sich in paratteter
Lage zur Bildebene befindet. Die senkrechten Kanten
sind bei der landläufigen Darstellungsart immer parallel
der Bildebene, die ja auch senkrecht angenommen ist.
Die gerade Ansicht eignet sich vorzüglich dazu,
ruhige, strenge, ernste Stimmung hervorzurufen, die
schräge dagegen drückt Belebtheit, Unruhe, Heiter-
keit, Leidenschaft aus, — wie ich in meinen „Beiträgen
zu einer Aesthetik der Perspektive" des genaueren
ausgeführt habe.
Wir können nun etwa auch von einer geraden An-
sicht des menschlichen Körpers sprechen, wenn der-
selbe so von vorn (en face) gesehen ist, dass beide
Schultern gleich nahe der Bildebene stehen und eben-
falls der Kopf so gestellt ist, dass seine beiden Hälften
symmetrisch erscheinen. Ein grosser Meister hat ver-
schiedene Bildnisse in dieser Weise gemalt: Holbein
d. J. den Simon Moretto (Dresden) und Anna v. Cleve
(Paris). Sicher hat er die Absicht gehabt und erreicht,
die Dargestellten in einer gewissen Gemessenheit und
Steifheit zu charakterisieren. Will man diesen im all-
gemeinen wohl unbeliebten Eindruck nicht hervorrufen,
so wird man gut tun, entweder den Körper oder den
Kopf oder beide aus der Stellung en face herauszu-
rücken, also die Schultern oder Ohren in ungleicher
Entfernung von der Bildebene darzustellen. Dadurch
wird man eine belebtere Haltung erzielen und das um
so besser, je mehr die Richtungen von Kopf und
Rumpf voneinander abweichen. In solchem Falle sehen
wir also die menschliche Gestalt in schräger Ansicht.
In unzähligen Fällen und aus den mannigfachsten
Gründen umgibt der Maler in seinen Bildnissen die
Gestalten mit begleitenden Nebendingen. Sogar schon
beim einfachen Brustbild bringt ein Giorgione vor
seinem Modell eine Mauer mit einer Stufe an, mit der
Absicht, eine strenge Horizontale neben die runden
Linien der Gestalt zu stellen, — vielleicht auch, um
den Eindruck hervorzurufen, dass der Dargestellte
uns für einen Augenblick über die Mauer hinweg an-
blickt, um gleich wieder hinter derselben zu ver-
schwinden.
Neben einer als Kniestück gedachten Gestalt kann
etwa ein Tisch sichtbar werden oder ein Sessel kann
für die sitzende verwendet sein. Noch viel mehr wird
eine ganze Gestalt der Nebendinge bedürfen, und be-
sonders ist es hier der Fussboden, der sich bemerk-
bar macht. Bestehe er nun aus einem Parkett, einem
gemusterten Teppich, einem Parkwege, immer werden
sich einige Linien zeigen, deren Lage die gerade oder
schräge Ansicht charakterisiert, und der Bildeindruck
wird durch das Spielen der schrägen Flächen die
Ruhe und den Ernst der Wagerechten stark beein-
flusst, — die Bildstimmung aber überträgt der Be-
schauer auf die Seelenstimmung des Dargestellten.
Bei monumentalen Bildnissen wird sicher der Maler
gut tun, die gerade Ansicht der Nebendinge zu wählen,
d. h. also einige wagerechte Linien neben senkrechten
zur deutlichen Wirkung zu bringen, während genrehafte
Bildnisse durch die Konvergenz schräger Linien Leb-
haftigkeit erhalten.
B.
Wie hoch oder wie tief nimmt der Maler seinen
Standpunkt gegenüber dem Darzustellenden an? Anders
gesagt: In welche Höhe der darzustellenden Gestalt
legt man den Horizont?
Ist ein Mensch so gross, dass man zu ihm auf-
blicken muss, so erscheint er bedeutend, und das
Gegenteil ist der Fall, wenn man auf ihn hinabblickt.
Diese Beobachtung kann man einfach auf das Bildnis
übertragen. Wünscht der Maler den Darzustellenden
bedeutend erscheinen zu lassen, so setzt oder stellt

er ihn beim Malen seinem Auge gegenüber ein wenig
erhöht, so dass etwa beim Brustbild der Horizont in
Höhe des Halses liegt. Die Untersichten unter Augen-
brauenbogen, Nasenflügel, Oberlippe und Kinn geben
zeichnerische Interessen und lassen daher auch das
Modell innerlich und geistig interessant erscheinen. —
Soll dieser Eindruck nicht hervorgerufen werden, so
setzt sich der Maler Auge in Auge dem Modell gegen-
über, die Ansicht ist dann weit banaler. Das Modell
aber so tief zu setzen, dass man auf seinen Kopf her-
abblickt, ist für ein Porträt im allgemeinen zu wider-
raten, wenn man nicht geradezu den Ausdruck der
Inferiorität hervorrufen will. Ein allbekannter mo-
derner Künstler liebt diese Art der Horizontlage, die
er noch durch umgebende Interieurlinien betont, und
nicht mit Unrecht sagt man von ihm, dass er in seinen
Gestalten das Animalische vorherrschen lasse.
Beim Kniestück, sei es sitzend oder stehend, wird
die günstigste Horizontlage in der Mitte der Brust
sein. Vorausgreifend muss hier gesagt werden, dass
man von dem Modell zum Kniestück einen weiteren
Abstand zu nehmen hat, als von dem zum Brustbild
und noch mehr von der ganzen Gestalt. — So ergibt
sich bei der eben vorgeschlagenen Horizontlage infolge
des grösseren Abstandes eine mässige Untersicht für
den Kopf, die wie beim Brustbild die Bedeutsamkeit
hebt, dagegen für den Gürtel, Rockkante usw. eine
mässige Aufsicht. Beim sitzenden Kniestück sieht
man auf die etwa wagerecht gelegten Unterarme und
auf die Stuhlseitenlehnen massig von oben herab, so
dass diese perspektivisch ein wenig steigen. Diese
Art wird als absichtslos und natürlich empfunden wer-
den. Selbstredend lässt sich eine interessante Wir-
kung mit besonderer Absicht auch durch Tieferlegen
des Horizontes erzielen.
Bei ganzer stehender Gestalt wird bei noch be-
trächtlicherem Abstand der Horizont etwa in Gürtel-
höhe am vorteilhaftesten sein. Wieder hat man eine
ähnliche Untersicht wie in beiden vorigen Fällen, und
auf die Füsse und den Fussboden sieht man nicht
allzu hoch hinab.
Lässt man die Gestalt noch höher über den Hori-
zont auiragen, so verlässt man den Eindruck der
natürlichen Schlichtheit, — der Dargestellte erscheint
gewaltiger, heroisch, und man kann durch Uebertrei-
bung, nämlich durch sehr tiefen Horizont, den Ein-
druck des Grotesken erzielen, wie das bekannte Borro-
Bildnis von Velasquez-Berlin zeigt.
Beim Kniestück wie bei der ganzen Gestalt ist
es unbedingt zu empfehlen, die dem Beschauer zuge-
kehrte Schulter, falls man den Körper eben schräg
gestellt hat, als die höhere anzunehmen, das heisst
also das dem Beschauer abgekehrte Bein zum Stand-
bein zu machen, so dass sich die auf dieser Seite be-
findliche Schulter senkt. Bei einer auf gleichen Füssen
stehenden Gestalt würde die Verbindungslinie der
beiden Schultern — eine Wagerechte — nach der
Ferne hin zum Horizont, der in Gürtelhöhe, sich per-
spektivisch senken. Durch die empfohlene Art der
Stellung wird sich diese Linie noch mehr senken,
während im gegenteiligen Falle (wenn das vorstehende
Bein das Standbein, also die vordere Schulter gesenkt
wäre) die Verbindungslinie der Schultern der nötigen
Perspektiven Richtung widerstreben würde. Man er-
zielt in der Praxis trotz richtigster Zeichnung den
Eindruck einer hängenden Schulter oder verbogenen
Stellung. Wählt man den Horizont höher, und sei es
auch nur in Kopfhöhe, so entspricht ausser jenem
psychischen Eindruck der Inferiorität auch sehr leicht
der physische des Abrutschens der sitzenden Gestalt
vom Stuhl oder der stehenden vom Fussboden, man
sieht zu sehr auf diese Ebenen und hat nicht mehr
den Eindruck, als seien sie wagerecht. Oft genug
trifft man in dieser Beziehung verunglückte Bilder.
 
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