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Münchner kunsttechnische Blätter — 9.1912/​1913

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Nr. 16
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Urban, Hermann: Pflichten des Künstlers - Pflichten des Staates, [1]
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Zur Neuauflage des Bandes "Mittelalter" von Bergers Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Maltechnik, [2]: allgemeine Uebersicht über die Quellenschriften und deren Wert für unsere Maltechnik
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https://doi.org/10.11588/diglit.36589#0068

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64

Münchner kunsttechnische Blätter.

Nr. t6.

mit dem Material lagen, so erscheint es geradezu
jammerhaft, nichts von ihren Erkenntnissen oder
Irrtümern hinterlegt zu sehen, ihre Werke zeigen
uns nur, wie eminent sich die einen oder wie
miserabel sich die anderen halten.
Aus alledem ergibt sich das Recht, behaupten
zu können, es bestehe die Pflicht, eine Atelier-
werkstatt zu schaffen, in welcher der Künstler
die Grundbedingungen der Maltechnik und der
Gesundheit seiner Werke erlerne.
Die schon existierende chemische Versuchs-
anstalt für Maltechnik am Kgl. Polytechnikum
nützt uns Künstlern nur wenig, wie denn die
allermeisten nicht einmal wissen, dass eine solche
überhaupt existiert. Wie kommt sie auch dahin
und wieso führt sie den ganz unberechtigten Titel
„Versuchsanstalt für Maltechnik"? Sie kann doch
nur „Versuchsanstalt für Materialienkunde in der
bildenden Kunst" heissen. Ganz gleich, welcher
Leiter an der Spitze dieser Anstalt steht, sie
wird für den Künstler wertlos sein, solange sie
nicht an eine Atelierwerkstatt in einem Kunst-
institut angegliedert wird. Denn notwendig ist
ein enges und aktuelles Zusammenwirken von
Künstler und Chemiker, wobei jeder vom anderen
lernen und diesen wieder fördern kann. In wenigen
Dezennien könnte eine absolute Materialwissen-
schaft aufgebaut werden.
Die so gedachte Atelierwerkstatt hätte aus
einer Schule zur Erlernung der Maltechnik, einer
chemischen Versuchsanstalt für Materialkunde und
einer Restauratorenschule zu bestehen, die dem
Pfuschertum auf diesem Gebiete ein Ende be-
reiten würde, endlich aus einer wissenschaftlichen
Sammlung, der man praktisches wie geistiges
Eigentum überlassen kann, damit es vor Verlust
bewahrt wird.
In dem Archiv dieser Sammlung müsste jeder
Künstler Präparate oder Erfahrungen hinterlegen
können, ev. geschlossen oder versiegelt, und nach
seinem Tode hätte die Leitung des Archivs nicht
nur das Recht, sondern sogar die „Pflicht", den
Praktikern der Anstalt Präparate wie Geschriebenes
zur Nachprüfung und Veröffentlichung zu über-
geben.
Wieviele Künstler würden einem solchen In-
stitute nicht mit Freuden ihr Wissen überweisen?
Warum in den Tod nehmen, was anderen hilft,
nützt und ihnen Leben und Arbeit erleichtert?
Allen Künstlern, Kunsthistorikern, Kritikern
usw. müsste Gelegenheit geboten werden, die
Sammlung zu besichtigen, die Urkunden zu stu-
dieren und die Bibliothek zu benützen.
Aus dieser Schule würden mit der Zeit die abge-
klärtesten Sachverständigen hervorgehen. Künstler,
Kunsthistoriker, Kritiker, Fabrikanten, Galerie-
direktoren, Kunsthändler, Laien und Staat würden
daraus materiell wie moralisch den grössten Nutzen
ziehen.

Eine der Hauptaufgaben des Institutes wäre
auch, die Künstlerschaft dazu zu erziehen, auf
jedes Werk rückwärts Namen, Titel, Opuszahl,
Kalenderzeit, Rezeptnummern, Preis, Breite und
Verkaufsquelle des Leinens, Art der Malfarbe usw.
kurz zu notieren, ganz gleich, ob selbsthergesteilte
oder Fabrikware verwendet ist.
Wenn wir Künstler alte oder neue Kunst be-
wundern, bewundern wir anders als der Laie —
wir kämpfen — der Laie geniesst. Auch wir
freuen uns am Schönen und Bedeutenden, aber
neben der Freude darüber geht ein anderes ein-
her: wir zergliedern, suchen, fragen, womit, wo-
durch ist das Materielle in der Schönheit, im
Bedeutenden erreicht, warum hat das eine Werk
so wunderbar gehalten, warum ging das andere
zugrunde?
Und je älter wir werden, desto schärfer setzt
dieser Kampf ums Material ein. Die unmöglichsten,
tollsten Anforderungen werden nicht selten an
dasselbe gestellt — wenns nur wirkt — apres
nous le deluge.
Das Material quält uns fort und fort, und wir
sind seine ohnmächtigen Sklaven. Möge dieser
Kampf, den der eine tastend in drückender Angst,
der andere stürmisch kämpft, der oft die Besten
zur stumpfen Resignation treibt, wenn auch nicht
genommen, so doch unendlich erleichtert werden!
Möge endlich erhöhter Schutz der vergangenen,
zeitgenössischen und zukünftigen Kunst durch fach-
gemässe Schulung erstehen.
Die Münchener Akademie hat in dankens-
wertester Weise, wenn auch vorläufig im engsten
Rahmen, den Weg betreten, ihren Schülern Material-
technik zu lehren.
Möge dieser fruchtbringende Weg ihr bald in
breitester Form gebahnt werden und der Mün-
chener Akademie einmal der Ruhm gebühren,
national wie international streng vorbildlich ge-
wirkt zu haben, möge man von Bayerns Haupt-
stadt sagen können, in ihr wurde die Renaissance
der modernen Maltechnik begründet, ausgebaut
und immer weitergeführt zu aller Nutzen.
München, März 1913.
Zur Neuauilage des Bandes „Mittelalter"
von Bergers Beiträgen zur Entwick-
lungsgeschichte der Maltechnik.
Allgemeine Uebersicht über die Quellen-
schriften und deren Wert für unsere Mal-
technik.
(Fortsetzung.)
Schon der Umstand ist bemerkenswert, dass
der Tote sich von seinen Rezepten nicht trennen
wollte und sie sich mit ins Grab geben liess. Vermut-
lich sind manche dieser Rezepte römischen Ursprungs,
denn wie Berthelot in seinem Werke („Chimie au
moyen äge", Paris 1893) nachweist, finden sich einige
derselben inhaltlich, einzelne sogar wörtlich in späteren
Manuskripten. Es zeigt dies zweifellos, dass die tech-
 
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