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Münchner kunsttechnische Blätter — 9.1912/​1913

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Nr. 6
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Gerhardt, Paul: Der heutige Zustand des Abendmahlbildes Leonardo da Vincis im Refektorium von S. Maria delle Grazie in Mailand
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https://doi.org/10.11588/diglit.36589#0025

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München, 9. Dez. 1912.

Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E.A. Seemann, Leipzig).
Erscheint 14tägig unter Leitung von Maier Prof. Ernst Berger.

IX. Jahrg. Nr. 6.

Inhalt: Der heutige Zustand des Abendmahlbildes Leonardo da Vincis im Refektorium von S. Maria detle
Grazie in Mailand. Von Paul Gerhardt-Düsseldorf. — Die Fabrikation der Lacke. Von Dr. W. Ba-
ringer. (Schluss.) — Zur Einführung der Teerfarben. Beobachtungen von Ernst Eitner. — Literatur.

Der heutige Zustand des Abendmahlbildes Leonardo da Vincis im Refektorium
von S. Maria delle Grazie in Mailand.
Von Maltechniker Paul Gerhardt-Düsseldorf.

Seiten hat wohi ein anscheinend dem gänz-
lichen Verfaii zuneigendes Kunstwerk so sehr die
Aufmerksamkeit der kunstgebiideten Weit auf
sich geienkt, ais Leonardos Abendmahl im Refek-
torium von S. Maria deiie Grazie in Mailand. Die
krasse Verschiedenheit in den Auffassungen über
das Schicksal des Bildes gab mir Veranlassung,
an Hand von Erfahrungen, die ich selbst bei der
Wiederherstellung grosser Fresken gemacht habe,
eine eingehende Untersuchung des Bildes, so wie
es sich heute nach seiner Wiederfestigung vom
Jahre l$o8 zeigt, vorzunehmen. In dankenswertester
Weise wurde mein Vorhaben seitens der mass-
gebenden italienischen Behörde unterstützt und
mir die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt,
die es mir ermöglichten, alle Teile des Bildes zu
erreichen.
Mit der unabänderlichen Tatsache, dass auch
unsere grossen Kunstwerke nur von dieser Welt
sind, und also der Vergänglichkeit einmal ihren
Tribut zahlen müssen, kann sich die Allgemein-
heit sonderbarerweise nicht abünden. Der grösste
Teil der Besucher von S. Maria delle Grazie
kehrt mit recht verwirrten Diagnosen heim und
vergisst nebenbei ganz das Herrliche zu gemessen,
was ihnen ein gütiges Schicksal zu sehen noch
erlaubt.
Ursache dieser auf vermeintliche Vernichtung
hindeutenden Urteile sind die zahllosen aus-
gesprungenen weissen Flecken, die dem Bilde
den Charakter des der völligen Zerstörung An-
heimgefallenen verleihen, weil sie ein ruhiges
Verweilen des Auges bei dem Kunstwerk ver-
hindern. Gewiss, das Abendmahlbild ist ein sterben-

des Kunstwerk, und der Laie, der nur nach dem
Gesamteindruck des Bildes urteilt und nichts von
der Möglichkeit des Aufhaltens einer derartigen
Zersetzung weiss, muss ein solches Bild als voll-
ständig verloren ansehen. Er weiss gar nicht,
dass so manches Tafelbild, das er in Galerien
bewundert, einmal genau so oder vielleicht noch
schlimmer ausgesehen hat, er denkt nicht daran,
welcher Wiederherstellungsarbeiten z. B. manche
alten Steinbaudenkmäler bedürfen, je nach dem
mehr oder minder widerstandsfähigen Material,
aus dem sie ursprünglich ausgeführt wurden. Für
die betroffenen Kunstwerke kommt es nur darauf
an, ob es Mittel und Wege gibt, sie zu erhalten,
und zwar nicht nur für unsere Generation, sondern
für Jahrhunderte. Und diese Möglichkeit ist vor-
handen und auch bei dem Abendmahlbilde in
vollendeter Weise zur Anwendung gekommen.
Manche Stürme sind über das Abendmahlbild
hinweggegangen, auch manche Uebermalungen
früherer Zeiten. So zeigt fast die ganze Archi-
tektur des Bildes frühere Uebermalungen, während
noch von Leonardos Hand herrührend die Hände
und Gesichter der Figuren sowie die Durchblicke in
den Fensterbögen angesehen werden können.
Diese Teile erwiesen sich auch bei den Wieder-
festigungsarbeiten von IQ08 als fest, und so er-
streckte sich diese Arbeit auch mehr auf die
übrigen Teile des Bildes. Diese späteren Ueber-
malungen des Bildes hatten sich von der Wand
gelöst und bedurften der Festigung, um eine
Uebertragung der Zersetzung von hier aus zu
verhüten.
Es ist bekannt, dass Leonardo das Abend-
 
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