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Münchner kunsttechnische Blätter — 9.1912/​1913

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Nr. 12
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Berger, Ernst: Grecos Astigmatismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.36589#0049

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MBnchen, 3. März 1913.

Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Prof. Ernst Berger.

!X. Jahrg. Nr. 12.

Inhalt: Grecos Astigmatismus. Von E. B. — Maimateriaiienkunde und Unterricht. Von D. H. (Schiuss.)
Zum Picasso-Rummei. — Bücheranzeigen.

Grecos Astigmatismus.

In einem Vortrag über „Turner und Muiready
und den Einfluss von Sehstörungen auf die Malerei
mit Beziehung auf ihre Werke" (Royal Institution
of Great Britain zu London am 8. März 1872)
hat der jetzt in Paris lebende bekannte Augen-
arzt und Geiehrte Prof. R. Liebreich wohl zu-
erst auf die Wirkung gewisser Veränderungen
des Auges aufmerksam gemacht und die Ansicht
ausgesprochen, dass gewisse Eigenheiten, die diese
Meister in späteren Jahren angenommen hätten,
mit bestimmten Anomalien ihres Sehapparates
Zusammenhängen müssten.
Liebreich war es beim näheren Studium der
Werke Turners in der Nationalgalerie aufgefailen,
dass einzelne Spätwerke im Vordergrund, in der
Wasserspiegelung u. a., Verzeichnungen aufweisen,
die mit der sonst realistischen Auffassung nicht
harmonierten. Er schloss daraus, dass Turner in
seinen späteren Jahren an einer mit dem Namen
Astigmatismus bezeichneten Aenderung seines
Sehvermögens gelitten haben musste. Die Gegen-
stände zeigen sich in ihren Grössenverhältnissen
verändert, speziell in der vertikalen Achse ver-
längert, und Liebreich erhielt ein der Wirklichkeit
weit entsprechenderes Bild, wenn er das Original
mit besonderen, diesen Sehfehler korrigierenden
Gläsern betrachtete.
Bei Muiready konnte er das Vorhandensein
der „Gelbstichigkeit" des Auges nachweisen, die
sich darin zeigt, dass dieser Meister in späteren
Jahren das Blau viel intensiver wiedergab, als es
dem Naturvorbild gemäss sein sollte*).
*) Vgl. über das nämliche Thema den Aufsatz
von Prot. Liebreich, ,Einfluss der Sehstörungen auf
die Malerei" im 11. Jahrg. dieser Blätter, Nr. 16—20,
und Dr. Emil Berger, „Ueber den Einfluss von Ano-
malien und Erkrankungen des Sehorgans auf die Mal-
technik" im I. Jahrg., Nr. 13—t6.

Der Fall Greco und die Kontroverse, die über
dessen Stellung in der Kunstgeschichte in der
letzten Zeit ausgebrochen ist, veranlasst mich,
hier auf Grecos vielbesprochene „Verzeichnungen"
näher einzugehen und zu zeigen, dass wir hier
einen eklatanten Fall von Astigmatismus vor uns
haben.
Wie Aug. Goldschmidt in einem „El Greco
und sein Manierismus" überschriebenen Aufsatz
der Süddeutschen Monatshefte (VIII. Jhg., Heft 5,
Mai I$ll) ausführt, fehlte es auch in früheren
Jahrhunderten nicht an Kunstverständigen, die
mit ruhig abwägender Objektivität über dem
Genialen im Wesen und Werk des Künstlers nicht
seine „Extravaganzen" übersahen, und er zitiert
einen Schriftsteller der Zeit, Don Pedro Antonio
de la Puente, der als gebildeter Kunstkenner in
einer Schrift „Reise durch Spanien oder Briefe
über die Merkwürdigkeiten in diesem Reiche"*) in
sachlicher Weise auf die Kunstschätze, die sein
Vaterland besitzt, hinweist.
Bei der Besprechung der zahlreichen in Toledo
erhaltenen Kunstwerke kommt der Verfasser auch
häufig zu Betrachtungen über Domenico Theodo-
copuli. Ganz besonders hebt de la Puente Grecos
Gemälde „Beerdigung des D. Ruiz de Toledo,
Grafen von Orgaz" hervor, das wegen seiner zahl-
reichen Porträts bekannter und vornehmer Zeit-
genossen berühmt war, und „von sehr eigen-
sinniger Erfindung, sowohl in Ansehung des Sujets
als auch der Ausführung". Aber derselbe Puente
bemerkt an den Gemälden auf dem Hauptaltar
der Kirche San Juan Bautista in Toledo bereits
(nicht zu deren Vorteil) „Besonderheiten" Grecos,

*) Aus dem Spanischen übersetzt, mit Erläute-
rungen usw., von Joh. Andreas Dieze, Professor zu
Göttingen. Leipzig [775. Bd. I.
 
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