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Das neue Frankfurt: internationale Monatsschrift für die Probleme kultureller Neugestaltung — 3.1929

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Lissitzky-Küppers, Sophie: Der soziale Film in der U.D.S.S.R.
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https://doi.org/10.11588/diglit.17291#0127

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den Film bekämpft. Auf allen Gebieten wird gelehrt und ermuntert.
Mut und Erfrifchung kann der Zufchauer nach ein paar Stunden im
Kino mit fich fortnehmen und durch feine getammelten Erfahrungen
helfen, das Leben zu vertiefen. „Die Kunft ift nur dann grofj, wenn
fie eine moralifche Inftitution ift", fagt Schiller. Und wirklich, der
ruffifche Film ift Träger einer neuen Moral, einer neuen Synthefe
von Menfchenrecht und Forderung. Er ilt das Kampfmittel gegen
alle Unterdrückung, gegen Unwiffenheit und Unkultur. Er öffnet
die Tür zu einem unermeßlichen und noch unerforfchten Land und
ruft feine Bewohner von Pol zu Pol zum gemeinfchaftlichen Auf-
bau der neuen Kultur.

Die ruffifchen Regilfeure find Agitatoren. Sie entflammen und be-
geiftern mit allen ihrer Kunft entfprechenden Mitteln, laffen die
grohe Idee der Verbrüderung aller Menfchen immer wieder leben-
dig werden. Sie erwachfen alle aus einem Fundament, haben den
ficheren Boden einer neuen Weltanfchauung unter fich, auf dem
ihre Kunft Blüten treibt wie lonft nirgends in der Welt. Sie find
befcheidene Arbeiter, ihr ganzes Sein, ihr Leben und ihr Können
(teilen fie in den Dienft der einen grohen Sache: „Des Volkes und
feiner Zukunft." So haben (ie den fozialen Film gefchaffen. Den
Film, der alle Welt angeht, der alle anpackt wie brennendes Feuer
in feiner inneren Wahrhaftigkeit. Diefe Regiffeure und Operateure
find unter den harten Bedingungen ihrer Arbeit große Künltler
geworden, überzeugte Kämpfer für die Idee ihres Staates. Das
vereint (ie alle. Alle erzwingen unter (chweren Hemmungen ihre
Arbeit, denn Ruhland hatnoch kein Hollywood und dieTechnifchen
Möglichkeiten haben auch europäifches Mah noch nicht erreicht.
Aber vielleicht wird dadurch der Erfindungsgeift bis zu feinem
Maximum gebracht, und es entfteht aus dem Mangel jener küntt-
lerifche Reichtum, der die Welt (o in Erftaunen (efjt.
Innerhalb der grohen prinzipiellen Beziehung zu ihrer Aufgabe
gehen die Künftler je nach ihrem Temperament und ihrer formellen
Veraplagung ganz verlchiedene Wege und bringen fo in die
gefamte Film-Produktion ein kontraftreiches Bild. Sie trennen fich
fcharf von einander, bleiben für fich und ihr Kollektiv, ihre Mitar-
beilergruppe, konlequent bei der einmal eingefchlagenen Linie.
Keinem wird man einen Vorrang einräumen, jeweilig entfcheidet
die Leiftung, die aber nie als Rezept, vielmehr als Anfporn für fort-
gelegtes BeKermachen und Weiterfchreiten gewertet wird. Nur ein
Bruchteil der Regiffeure find im Auslande bekannt, nicht immer
hat man das Neue hier richtig erkannt und gefördert.
So hat einer der wichtigften Erfinder für die Vervollkommnung der
Kino-Sprache, Dfiga Werthoff, denWeg noch nicht über die Grenze
gefunden. Sein Film „Das elfte Jahr" ift ein Dokument für die Er-
rungenfchatten der Union während des ertten Dezenniums. Seinem
Prinzip gemäh hat er nur-die Tatfachen fixiert und aus diefen Fakten
durch eine rhythmifierte Montage den heroifchen Film der Arbeit
gefchaffen. Er nennt fich nicht Regiffeur, fondern Autor-Leiter, ver-
zichtet vollltändig auf das Szenarium, auf den Schaufpieler und

DSIGA WERTHOFF, Der Mann mit dem Kino=Apparat (Operateur Kauf-
mann). Sechs Aufnahmen

SCHUB, Toirtoi und Nikolai WERTHOFF, Das elfte Jahr. Mühle

Romanoff. Der Zar beim Tennis unter Waffer

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