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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0196

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171

„Dichtungen der Praeraphaelitischen Schule" nur den For-
schern bekannt bleiben, denn nur das höchste in der Poesie
hat ewiges Leben. Von allem, was er geschaffen, wird nur
Eines lebendig bleiben: seine Bücher. Und dies ist genug.
Wäre er nur der Schöpfer der Keimscott Presse gewesen,
so würde dies genügen, um seinen Namen unsterblich zu ma-
chen. Dauernd und unverwüstlich wie die Inkunabeln, wie sie
mit ewiger Schönheit und unvergänglicher Jugendfrische be-
gabt, werden seine Bücher bleiben als das vollendeste, was
er gewollt und geschaffen, als der vollkommenste Ausdruck
seiner machtvollen, künstlerischen Individualität.

William Morris und der moderne Stil.
Im Aprilhefte der Zeitschrift für Bücherfreunde
habe ich zu schildern gesucht, was William Morris auf dem
Gebiete des Buchgewerbes geschaffen hat; hier sei in wenigen
Zügen die Stellung angedeutet, welche diesem vielseitigen
Manne in der Geschichte des gesamten Kunstgewerbes ge-
bührt.
Die technischen Künste haben in unserem Jahrhundert mit
Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, welche frühere Perioden
nicht kannten. Im Mittelalter hatten sie sich in Zünften ent-
wickelt, welche Erfahrungen alter Künstlerfamilien aufspeicher-
ten und Handgriffe und Geheimnisse von Geschlecht auf Ge-
schlecht vererbten, so daß sich ein volkstümlicher Stil und
eine ehrliche, gediegene Technik ausbilden konnten. Die ita-
lienische Renaissance, welche über die Alpen herüberflutete,
durchbrach zwar die Stiltraditionen, aber sie änderte nicht
die Technik, und die neue Ideen- und Formenwelt, die sie
brachte, wurde den Kunstanschauungen eines jeden Volkes
gemäß verarbeitet und umgestaltet. Im Laufe der Zeit ver-
wilderte dieser Renaissancestil, er wurde schwerer, überladen;
aus ihm entstand unter Ludwig XIV., als „des Franzmanns
Moda" Europa zu beherrschen begann, jener hochtrabende
Stil, welcher den Namen dieses Königs führt. Unter Ludwig
XV. wurde alles zierlich, geschmeidig, kraftlos, und zum ersten
Male machte die Dekorationskunst Ostasiens ihren Einfluß
fühlbar. Der Stil Louis XVI. entstand aus dem Stile Louis XV.,
wenn er auch seine Motive meistens der antiken Welt entnahm,
welche durch die Ausgrabung Herkulanums ihre Auferstehung
gefeiert hatte; diese antiken Motive wurden von der für das
alte Römertum schwärmenden Revolutionszeit beibehalten, aber
in's Derbe und Massive übertragen, und unter dem ersten
Kaiserreiche wurden sie zu jenem kalten, geistlosen Stile ver-
arbeitet, den wir Empire nennen. Bis hierher hatte sich e i n
 
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