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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 164/165 (Juni 1913)
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Mynona: Die Torturen des Gottes Mumba: Paulo Scheerbartin Züchten
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Essig, Hermann: Hippodrom
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0046

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talen mehr: die Zivilisation hatte sie alle huma-
nisiert — _ brrrrr! Mumba war ja kein Kran-
maier — oh Eein, kein Schwärmer für gebildete
Rassen-Ferozität. Fs hatte in seinen Augen kei-
r.en Zweck, durch Gebildetheit wilde Völker und
Tiere zu zivilisieren. Er verachtete die künstliche
Kultur so heftig wie die rohe Kraft. Er lehnte
die Menschheit ab, ieine und rohe. Und doch
liebte Mumba, selbstverständlich wie Götter
lieben, mit Hilfe der Dressurpeitsche, des Schmer-
zes. Mumba liebte nur allzusehr die Selbstzer-
störbarkeit des Menschen. Der Mensch als
Selbstmörder war seine Wollust. Und deshalb
grübelte er gar nicht lange mehr, sondern ersann
Qualen für diejenigen Menschen, die das geringste
Talent zum Selbstmord haben: für die Phlegma-
tiker. Was den Rest anlangte, ach Herrje, der
war fabelhaft leicht aus der rissigen Haut zu brin-
gen. Aber diesen Dickfellnaturen wuchs die ge-
platzteste Haut im Handumdrehen wieder zum
dicksten Fell zusammen. Mumba suchte nach dem
musterhaftesten Versuchstier und fand es in einem
der bekanntesten australischen Monarchen, dem
testen Kaiser Schrill von Knallen. Gelang es
Mumban, dieses Urpachyderm aus der Fassung
zu bringen, so war die Menschheit insgesamt ge-
liefert, mehr als der konnte nicht einmal der idio-
tischste menschliche Leichnam vertragen.

Ahnte Schrill was von Mumba? Nein, die
Schrille regieren, sie ahnen gar nichts als calau-
eras di causa — ihre Ahnen. Der Mumba
begriff das und raunte Schrillen ins Herz, er
stamme von einem der schönschenkeligsten La-
kaien der Kaiserin-Mutter ah. Schrill sah an sich
herunter, verglich, forschte, spielte mit seiner
Mama eine Hamletszene und? Und regierte wei-
ter, er schwor zum monarchischen Prinzip.
Mumba stärkte das republikanische, ließ eine Re-
volution ausbrechen. Schrill, nicht faul, peitschte
seine Soldaten aufs Volk: Das Volk, noch weni-
ger faul, entwaffnete die herzensgute Armee,
selbst die braven höchsten Offiziere durch seine
Gemütsfülle sowie durch respektable Zivilange-
bote. Schrill mußte abdanken, setzte sich einen
hellgrauen Zylinder aufs Haupt und fuhr aus
einem eleganten Exil ins andre, suchte Propa-
ganda für sich zu machen. Als das schlecht an-
sclilug, kniete er sich hin und sagte: „Ich bin doch
der Kaiser!“ Er richtete sich einen netten
kleinen Hofstaat ein und lebte mit strengstem
Zeremoniell.

Mumba warf ihn voller Wut aufs Toten-
bett —: „balsamiert mein Herz und setzt es mit
kaiserlichem Gepränge bei, leistet meinem Sohn
den Untertanen-Treueid“ waren Schrills letzte
Worte. —

Werden's die geliebten Leser mm glauben?
Mumba scheiterte am monarchischen Prinzip.
Mit Wem kämpfen bekanntlich selbst Götter
vergebens? — Mumba sah es ein: Die Mensch-
heit ist durch das monarchische Prinzip vor der
Selbstzerstörung geschützt. Republikanern kann
man ihre Illusionen zerplatzen lassen wie? Wie
Seifenblasen natürlich. Der Monarch ist der Ar-
chäus der Menschheit! —

Mumba ließ die Erde Erde sein, ihre Meere
Lloydhaft zutraulich, ihre Lüfte zeppelinisch jo-
vial, ihre Gebirge tunnelmäßig bierehrlich und
zahnrädrig lächelnd, Gewitter wie Backfische
kichernd, Wolkenbrüche studentisch pladdernd,
Landschaften mit dem Ausdruck Wilhelm BöL
sches in den Linien, Ja, selbst das Grausen alter
Mitternächte der Uzheimlichkeiten nahm ganz
deutlich immer mehr H. H. Ewers’scbe Formen
an.-'—

Da.Mumba aal die Erde und ihren

Archäus und ging?. Zum .Seheerbart. —. Ach
Mumba!

Hippodrom

Von Hermann Essig

Hippodrom ist eine Reitschule. Zusammenge-
setzt aus hippes — Pferd und Dromedar = Kameel.

Hippodrom ist eine Dame. Pferdekameel oder
Reitschule?

Sie wohnt im Boarding-House.

Seht, wie unglücklich sie in den Räumen ihres
Appartements umhergeht. Sie strauchelt am
Smyrna, sie will Luft holen und kriegt sie nicht.
Zwei Kisten fetter Speck liegen auf ihren Brüsten.
Ihr Teint ist allein brauchbar, alles andere ist
gleich wie bei der Base, beim Nilpferd.

Das Rennen ist abgesagt. Heute ist Empfang
eines anderen Herrn. Der Liftboy hat ihn bereits
im Käfig und Hippodrom ist sehr erregt, denn sie
fühlt „nur noch wenige Stunden Leben“.

Der Besuch ist höchst notwendig. Sie geht
ihm entgegen. Natürlich ist es ein Herr, der mit
geschäftskundiger Evolvente Hippodrom am Arme
führt. Sie ist sehr schüchtern und war schon ge-
wohnt gewesen, es nicht mehr zu sein.

D!rum wrar es auch ein Arzt.

Nur sein sachverständiger Blick vermochte ihr
Verlegenheit zu bereiten. Und sie standen nach
einer halben Minute bereits im Boudoir, eben in
dem Raum, wo Damen tun, was sie belieben, wenn
sie allein sind oder mit dem Geliebten.

Natürlich wäre es im Interesse einer genauen
Feststellung besser, wenn sieb Hippodrom keinen
Zwrang antun würde und sich allen Zwangs ent-
ledigen würde. „Gelt, es ist besser.“ Der Arzt
äußert es geniert in der muckenfrechsten Absicht.
Er will nämlich keine Dame beleidigen und auf
Bestimmtes verzichten.

„Wissen Sie, fiir Nüsse in der Schale habe ich
keine Praedilektion,“ meinte er.

Hippodrom, man hat sie noch nirgends gemalt
gesehen, weil die Maler „Stümper“ sind, nach
ihrer Ansicht, steht bald in delikaten Konturen.
Der Arzt naht dem Tastsinn auf den Fingerballen
und stellt fest „nur noch wenige Stunden Leben“,
w^enn hier nicht sofort per Rohrpost eingegriffen
wird.

Eine Firma, welche sich mit der Entfettung der
gesamten Menschheit beschäftigt, ist wie gepfif-
fen zur Hand. Noch am Abend wird eine Bestel-
lung auf siebenunddreißig Brunnen ausgeführt.
Noch vor zehn Uhr abends sind sie bereits male-
risch im Kreise aufgestellt.

Hippodrom hatte sich vorgestellt, Brunnen
seien Pumpmaschinen, nun wraren die Brunnen
winzige Pulverchen. Sie waren alle umfangreich
etikettiert und verkapselt.

Da war der erste Brunnen, welchen Hippodrom
enthüllte, bestimmt „zur Entfettung des Magens“.

Herzverfettung hatte der Arzt gesagt. Sie
verzweifelte und enthüllte die Brunnen rasch
nacheinander, keiner für das Herz. Schweiß-
perlen rollten das Euphrattal hinab. Wo wrar der
Brunnen für das Herz? Sie platzte vor Atemnot,
beinahe, wie ein überheizter Ofen.

Sie ordnete zornentbrannt an, daß alle die
schwindelhaften Brunnen das Lokal zu verlassen
hatten, sie öffnete das Fenster und wollte „die
Brunnen“ hinausfracken. Als ihr die Nachtluft
oben hineinschlüpfte, hatte sie das Gefühl wie hei
einem Vorzünder. Es explodierte etwas in ihr,
worauf ihr Herz plötzlich eine rasselnde Tätigkeit
aufnahm.

Draußen war es Nacht, die Baumallee mit den
Straßenlaternen; w'enn sie hereinblickte, glotzte
sie Brunnen an,' nichts als Brunnen.

Der Arzt hatte gesagt, „nur noch wenige Stun-
den Leben". Wenn das Rasseln ihres Herzens
das Erde war, im Geiste gab sie schon den Geist
auf.

In der Verzweiflung nahm sie den nächsten
besten Brunnen. Das heißt, sie verläpperte eine
Tablette mit einem Glase Wasser und trank es
hinab.

Aha! Das entfettete. Zunächst freilich müßte
sie nach Luft ringen, aber nach einer Weile war-
tete sie auf die Fettschmelze wie auf den schmel-
zenden Schnee. Der Trunk schuf ihr spürbares
Behagen.

Sie schickte sich an, die Brunnenreklamen ein-
mal nacheinander zu studieren. Das gab eine neue
Überraschung. Einen direkten Herzbrunnen
schien es nicht zu geben. Ein Brunnen schrie:
„Darmkatarrh“. Einer „Verstopfung“. Ein drit-
ter, vierter: „Blutandrang im Unterleib“, „Leber-
schwellung“. „Gicht“, „Rheumatismus“ und
„Frauenleiden“.

Ob sie die Krankheiten alle hatte? Frauen-:
leiden, ja, die hatte sie, sie fühlte sich so grenzen-
los unglücklich. Und nach Befragen vom Konver-
sationslexikon mußte sie entdecken, daß sie tat-
sächlich mit allen den Brunnenleiden behaftet war.

. Sie ordnete sorgfältig auch alle übrigen Brun-
nen dem Alphabet nach und entwarf sich einen
sorgfältigen Angriffsplan auf ihr Körperfett.

Sie war mit zwanzig Jahren so ein schlankes
Füllen gewesen. Wie sie sich nun umsah und die
Brunnen sie anlachten und ihr zunickten, träumte
sie sich ihre Wphlgestalt aus, die sie zurücker-
langen würde. Sie wollte sich durch sinnvollen
Gebrauch so gestalten, daß nur auf besonderen
Teilen noch einiger Nachdruck blieb.

Jetzt bin ich so. So war ich. So werde ich
mich bringen.

Sie nahm einen Bleistift zur Hand und zeich-
nete diese drei Figuren unter Benutzung des
Spiegels und alter Photographien auf ein Blatt
Papier. Auf dies Blatt Papier legte sie einen
schwörenden Finger. Die Brunnen der ganzen
Welt sollten versiegen, wenn es ihr nicht gelang.

Der Arzt hatte ihr genaue Vorschriften über
die Mahlzeiten noch dazu gegeben. Der Brun-
nen für Verstopfung wurde einmal zuerst ange-
wrendet. In der Hinsicht mußte einmal zuerst
Bahn gebrochen werden. Zehn Tabletten für
heute nacht waren nicht zu viel.

Wie wollte sie die Welt überraschen! Ihre
Freunde, die sie schon mehr roh behandelten, soll-
ten einmal kuschen.

Ein neues Leben wollte sie erbauen. Darum
vor allem das Schild am Entree herabgerissen!
Morgen wurde das durch ein Pseudonym ersetzt

Die Boarding-House-Leitung wurde verstän-
digt, daß Hippodrom ausgezogen sei und hier
eine Kleopatra wohne.

Der Entwurf war vorzüglich, die Durchführung
geschah mit äußerster Energie.

ln der ersten Nacht wurde Ihre Nachtruhe
recht häufig gestört Aber es verdroß sie nicht
Nur so war das Ziel erreichbar.

Ihre Zeichnung heftete sie mit Reißzwecken
neben den Spiegel, um das Ideal nicht aus den
Augen zu verlieren.

Nach vier Wochen! Wenn sie ihre FreuDde
je zu Gesicht gekriegt hätten! Wie hätten sie ge-
staunt! Kein Gletscher schmilzt so rasch. Hippo-
drom konnte bereits wieder zwischen die Stützen
der Sakinsek’&I 'sitzen. Sie vermochte, Seil zu
bopfen.

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