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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 4.1913-1914

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Nummer 164/165 (Juni 1913)
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Babillotte, Arthur: Die Schwermut des Genießers, [5]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.27574#0049

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Ich erschauere, wenn ich dich mir vorstelJe als
Bacchantin, lachend in unbekümmertem Genießen,
leuchtend im Bewußtsein süßer Stunden. Wenn
ich dich sehe, bin ich im alten Hellas, atmq weiche
blaue. Luft und schöpfe kristallhelles Wasser aus
Marmorbecken in meine hohlen Hände. Du und
ich, wir waren vor vielen Jahrhunderten Hellas-
kinder. Vielleicht die Sprossen eines edlen Kö-
nigsgeschlechts . . . oder auch die Nachkommen
eines mächtigen Staatsmannes. Mein Blut gärt
oft rebellisch, dann ist mir, als wäre ich einmal
Rerikles oder Drakon oder Alcibiades gewesen.
Wir wollen ein Fest feiern, ein griechisches
Fest, du sollst die Bacchantin sein, die ich in dir
träume. Die Genießerin, in deren Bewegung
Wohllaut ist, in deren Worten ein rhythmischer
Tonfall singt, wie ein leiser Tropfenfall auf Mar-
morfließen. Du wirst die Kündigerin der scheuen
keuschen Gebärde sein, aber in den Adern deiner
Gebärden soll das heiße Blut der unendlichen
Seligkeit rauschen. Zurückhaltend sollst du deine
Schönheit ins Erhabene steigern. Willst du?

Ihn hatte der Andrang der farbenglühenden
Bilder überstürmt. Er war wie ein Seher, die
Hand gereckt, in eine unergründliche Ferne, die
Augen brennend in zehrenden Flammen der Ver-
zückung. Er war aufgesprungen und stand vor
dem Mädchen in seiner sehnsüchtigen Jugend. Er
glaubte und zwang das Mädchen, mit ihm zu
glauben. Er, gab sich seinem Gedanken so rück-
haltlos hin, daß die Wirklichkeit ausgeschaltet
wurde.

Ohne von dem kleinsten Zweifel beunruhigt zu
werden, erfaßte er die Wfelt, die sich unter dem
Eindruck seines Wunsches in ihm gebildet hatte,
und machte sie zu einer wirklichen, in dessen
Mitte er sich stellte als Schöpfer und als Be-
herrscher. Dies war eine der Stunden, an denen
er fest überzeugt war, daß es keinen klangreiche-
icn Menschen gäbe als ihn. Eine der Stunden,
die das Gegensätzliche in ihm zu einem geschlos-
senen Ganzen vereinigten.

Das Mädchen batte die Augen geschlossen und
empfing die Worte des Künstlers in dem unbe-
wußten Lustgefühl, das eine wohllautende Stimme
dem Hörer bereitet. Die Glut des Nachmittags
wirkte einschläfernd' dip Worte schienen aus
immer größerer Entfernung an ihr Ohr zu drin-
gen. Der Künstler erkannte es an dem leisen
Zucken ihrer Lider und an den unruhigen, gleich-
sam abwehrenden Bewegungen. Sofort schob
sich ein neues Bild vor seine geistigen Augen;
sein Phantasieapparat arbeitete mit einer wunder-
baren Genauigkeit. Er erfaßte sofort alle Ge-
nüsse, die ein Hinhorchen im Halbschlaf nach dem
reinen Tonfall einer Stimme vermittelte. Und in
dem Augenblick, da er sie erfaßte, wurden sie
ihm zu lebendigen Worten. Er glaubte an die Un-
sterblichkeit des kleinsten gesprochenen Wortes.

Du sitzst in einem weichen Sessel, begann er,
das Glänzpn ;dpr igenießenden Schwermut, in den
Augen, deine Hände ruhen lässig im Schoß. Es
ist Wirklichkeit um dich her, in dir aber die
Ahnung einer tiefen Freude. Du horchst in die
stille fließende Musik) einer reichen Stimme;
nimmst die Bilder, die sie malt, in „dich auf und
machst sie zu deinem unvergänglichen Besitz.
Und je mehr Bilder du in dir anhäufst, um so
widerstandsloser wirst du, um so müder wird
dein Wille — du sinkst, langsam, langsam in die
tiefe Stille eines dankbaren Empfangens. O, die
Seligkeit dieses langsamen Versinkens. Als fühl-
test du, wie nach und nach alle Schwere von dir
abfiele, wie deine Hände und Arme, deine Mus-
keln und Sehnen ihre Gegenständlichkeit verlie-
ren, so daß du endlich glaubst, ein Hauch der
Luft zu sein, die um «Kch Jherweht. Ein . Funken

der Sonne, die dich bescheint. Und auch die
Stimme, die du hörst; wie aus fernen seltsamen
Ländern scheint sie zu tönen, aus; Lau denn, deren
wunderbaren Blumenduft sie äusatmet und deren
farbigen Reichtum sie dir herträgt. Du hast kei-
nen Willen und keine Worte mehr, dich aus die-
sem seligen Bann zu befreien. In solchen Augen-
blicken ist der Mensch rein und schön, alles
Häßliche und Gewöhnliche hat er von sich ge-
worfen, alle Materie abgestreift, er ist nur noch
genießende Seele, angefüllt mit Schwermut und
Glückseligkeit.

Als erzeugten seine eigenen Worte bei ihm
dieses beglückende Gefühl des Versinkens, stand
er da, die Augen immer in eine unwirkliche Ferne
gerichtet, völlig der Wirklichkeit entrückt. Seine
Phantasie arbeitete weiter; die Bilder seines ge-
ahnten neuen Werkes vereinigten sich mit der
Pracht der ruhenden Gestalt des Mädchens. Der
Andrang neuer Bilder war so stark, daß er kein
einzelnes mehr herauswählen und ihm Worte ver-
leihen; konnte. Unterdessen aber schrak das Mäd-
chen auf; der Tonfall der schönen Stimme war
plötzlich unterbrochen, das Ohr so an das Klingen
der herankommenden Worte gewöhnt, daß es,
zuerst gleichsam erstaunt aufhorchte, dann sich
durch die plötzliche Leere beunruhigt fühlte, seine
Unruhe sofort dem ganzen Körper weitergab und
ein Auffahren aus der Tiefe der seligen Erschlaf-
fung bewirkte.

. . . Warum sprichst du nicht weiter, Liebling?
Ich höre dich so gern sprechen.

Wir wollen ein Fest feiern, Geliebte! wieder-
holte er.

Er schritt zu ihr hin beugte sich zu ihr nieder
und küßte das Gold ihres Haares.

Der Brief an den Freund trat in sein Gedächt-
nis. Am aufdringlichsten der Satz; „Heute aber,
da ich ermattet bin, da ich mich ganz als ein
Weib fühle, dem die gräßlichsten Wehen den Leib
zerrissen, heute lächle ich müd und selig und lege
meine Seele vor dich hin.“ Die Ermattung war
vorüber,- als wäre sie nur eine Laune gewesen,
in der sich sein Geist einige Augenblicke gefiel.
Wenn er jetzt an jene Stunde des Morgens zu-
rückdachte, erschien sie ihm verblaßt und be-
deutungslos, er hatte das demütigende Gefühl,
nicht ganz ehrlich gewesen zu sein, sich einem un-
gesunden Einfall überlassen zu haben. Er be-
reute jetzt jene unfruchtbaren Augenblicke und
wähnte, erhitzt von der Glut der Sonne, der
Schönheit des Mädchens und dem Ungestüm sei-
ner neuen Gedanken, unverwundbar zu sein, von
keiner Anstrengung besiegt werden zu können.
Sein Stolz wuchs und das Selbstbewußtsein senkte
seine Wurzeln tiefer in sein Wesen. Unter dem
Eindruck dieses seelischen Emporsteigens wurde
er übermütig.

Wir wollen ein Fest feiern, Kind! sagte er noch
einmal, diesmal aber mit dem Lachen eines unbe-
kümmerten Jünglings, der allen Genuß nur des
Genusses wegen aufsucht. Alle Schwermut
schien plötzlich in ihm erloschen zu sein; er ver-
langte nicht mehr die Seele des Genusses zu er-
forschen, er begnügte sich mit dem Taumel. Es
gab Stunden in seinem Leben, in denen er hrutal
war in seiner imtiefen Genußsucht. Solch eine
Stunde kam jetzt über ihn; er wollte sich ihrer
erwehren, denn er wußte, wie bitter er sie nach-
her bereute. Aber sie stürzte auf ihn ein wie eine
Sturmflut. Er war außer sich. Sein Gesicht fiel
ein, sah plötzlich ganz klein und nichtssagend aus.
Die Augen erloschen und bedeckten sich mit mat-
ten Schleiern. Aber, da er sich nicht selbst sehen
konnte, erfaßte ihn dieser Gedanke nicht, ein Ge-
danke, der ihn gerettet und vor den Schrecke»
einer seelenlosen Stunde bewahrt hätte.

Seine Tollheit riß das Mädchen mit. Ihre
Freude an dem schönen Manne leuchtete aus gro-
ßen Augen.

Sekt mit dir zu trinken, war schon immer mein
Wunsch! sagte sie, als er bestellte. Ich habe oft
gesehen, wie sie unten im Gesellschaftshaus wel-
chen tranken. Wenn du das auch haben könn-
test, dachte ich manchmal ... Ach du, ich habe
dich lieb!

Er lachte ein unklares Lachen; ein Zynismus
klang darin, der nicht in seinem Wesen lag, den
er sich in der Gesellschaft der Ausgestoßenen
während seiner Großstadtjahre angeeignet hatte,
und der nur zum Ausbruch kam, wenn er die
Herrschaft über sich selbst verlor.

Ich liebe dich, sagte er, so wie du bist. Du
hast eine Sehnsucht, du willst die Schönheit. Ich
werde sie dir geben. Dieser heiße Mittag ist unser
Eigentum. Wir wollen ihn mit den brennendsten
Farben ausschlagen. Ich will jetzt nicht mehr
denken. Ich will nur bei dir sein und mit dir
lachen und scherzen und trinken.

Sie sagte mit dem inbrünstigen Tonfall eines
Kindes:

Ja, du!

Er schwang die Flasche über dem Kopfe, daß
ein Sprühregen der köstlichsten Tropfen umher-
wirbelte. Er neigte den Flaschenhals über die
Gläser und seine Hand zitterte wie im Fieber.
Seine Augen brannten unter Schleiern, ohne sie
versengen zu können. Das Mädchen, was ihn nie
so gesehen hatte, wurde mitgerissen von seiner
Zügellosigkeit.

Ein Taumel hatte beide ergriffen. Ihm gab
sich das Mädchen widerstandslos hin; sie liebte
das rauschende Vergnügen, das Blitzen lebens-
lustiger Augen und die taumelnden Worte wein-
froher Menschen. Sie hatte an diesen Schön-
heiten, die sie begriff, vorübergehen müssen; der
ewige Wunsch, es möchte auch ihr eines Tages
so wohl werden wie jenen, hatte sie gepeinigt.
Nun sah sie sich vor der Erfüllung; ihre Freude
kannte keine Grenzen. Die Tollheit des stillen
versonnenen Künstlers wrar ihr unerklärlich; und
doch freute sie sich darüber.

• * *

Die Sonne war bescheidener geworden. Ihre
Gluten begannen zu erstarren und langsam zu er-
kalten wie Lavamasse. Schatten wmchsen aus dem
Fuße des Berges, an dem die Stadt lag und schien
von unsichtbaren Händen langsam emporgescho-
ben zu werden. Es schlug die fünfte Nachmittag-
stunde. Zwei Stunden saßen die beiden bereits
und schw-elgten in den Taumeln. Sie saßen bereits
mit starr werdenden Augen, sprangen plötzlich auf,
preßten sich eng aneinander, küßten sich leiden-
schaftlich und stießen sich gegenseitig, wie von
Abscheu ergriffen, ab. Sie hatten die Zügel ihrer
Gedanken verloren und wurden nun von den er-
hitzten Bildern ihrer Gehirne im rasenden Lauf
dahingeschleift. Wenn sie für einen kurzen Augen-
blick das blasse Bewußtsein'hatten, in Gefahr zu
sein, drängten sie sich zu einander hin, sobald je-
des die Nähe des andern fühlte, wurde es ruhig
und versank wieder in die Unbewußtheit der über-
reizten Gedanken.

Der kleine Wirt trat mehrere Male unter die
Tür, die Gaststube und Veranda verband und, be-
trachtete die beiden aus verschmitzten Augen.
Sein Weib, das zehn Jahre älter war als er, und
trotz der peinlichsten Reinlichkeit unsauber aus-
sah, ärgerte sich über diese frohen Menschen. Sie
mochte den Künstler nicht leiden; alle „verrück-
ten Menschen“ waren ihr in der Seele zuwidei.
Aber sie beherbergte ihn, da er die bescheidene»
Genüsse, die ihnen das Waldhaus biete» konnte,-
mit schwerem Golde bezahlte.

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